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Implodiert der Westen?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Drei spannende Wahlgänge werden schon bald darüber entscheiden, ob die westliche Welt, wie wir sie kennen, überlebt - oder zerbricht.


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Wer heute prophezeite, dass in wenigen Jahren sowohl die EU als auch das westliche Militärbündnis Nato in ihrer heutigen Gestalt Geschichte sein werden, dürfte sich ziemlich schnell in der Spinner-Ecke des öffentlichen Diskurses finden, dort, wo eifrig über die Bilderberger-
Weltverschwörung und die dunkle Macht der Familie Rothschild getuschelt wird. Und doch ist die Gefahr, dass die beiden wichtigsten Bündnisse der westlichen Staatengemeinschaft innerhalb ganz kurzer Zeit kollabieren oder zumindest dramatisch geschwächt werden könnten, größer, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Ausschlaggebend dafür sind drei Wahlgänge, die zwar nichts miteinander zu tun haben, aber doch schicksalhaft miteinander verwoben sind: die Abstimmung der Briten über ihren Verbleib in der Europäischen Union, die Präsidentenwahl in den USA und schließlich 2017 die Wahl des neuen französischen Staatspräsidenten. Durchaus möglich, dass sich das Vereinigte Königreich für einen Austritt aus der EU ("Brexit") entscheidet, danach die Amerikaner Donald Trump ins Weiße Haus wählen und schließlich Marine Le Pen vom "Front National" erste Frau an der Spitze der Grande Nation wird. Nicht, dass dies das wahrscheinlichste aller Szenarien wäre - aber denkbar ist es immerhin.

Wird der Isolationist Trump Präsident, könnte dies der Nato die Geschäftsgrundlage entziehen. Europa, formulierte er in seinem Buch "Das Amerika, das wir verdienen", sei "das Leben keines einzigen Amerikaners wert", ein vollständiger Abzug der US-Truppen aus Europa würde "Millionen von Dollar ersparen". Macht er damit Ernst, wäre dies das Ende der Nato, die ohne die Bereitschaft der Amerikaner, notfalls etwa das Baltikum vor einer militärischen Aggression Russlands zu schützen, so sinnvoll wie ein Luftballon ohne Hülle würde.

Gewinnen gleichzeitig im Vereinigten Königreich die "Brexit"-Befürworter und in Frankreich Madame Le Pen, dann droht der EU ein ähnliches Schicksal. Le Pen hat ja sowohl den Austritt Frankreichs aus der EU als auch aus der Eurozone angekündigt. Eine Europäische Union ohne Frankreich und ohne Großbritannien aber wäre ein Gebilde, das mit der heutigen EU nur wenig Ähnlichkeit hätte. Auch dann, wenn nicht, wie anzunehmen ist, unter dem Druck der Ergebnisse in Paris und London in der Folge auch andere Mitgliedsstaaten Abstimmungen über einen Verbleib in der Union abhalten würden. Es wäre, wie die renommierte US-Historikerin Anne Applebaum dies jüngst in einem Essay für die "Washington Post" durchaus treffend formulierte, "Das Ende des Westens", jedenfalls in jener Form, die uns seit vielen Jahrzehnten vertraut und geläufig ist.

Gewinner einer derartigen Entwicklung wäre der Russe Putin. Sowohl Trump als auch Le Pen zeigen offen ihre Sympathie für ihn. Ohne US-Sicherheitsgarantien, ohne Frankreich und Großbritannien in der EU stünde de facto nur noch Deutschland als Schutzmacht etwa des Baltikums gegenüber einer allfälligen russischen Aggression zur Verfügung, wenn überhaupt - eine wenig erbauliche Vorstellung. Das Ende des Westens, das würde wohl eine ziemlich unangenehme Angelegenheit werden.