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In Afghanistan sind westliche Aufbaustrategien gescheitert

Von Gunther Hauser

Gastkommentare

Die USA zogen sich auch zurück, weil sie sich die Intervention nicht mehr leisten konnten.


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Die Bilanz nach 20 Jahren militärischer und ziviler Einsätze der USA gemeinsam mit Verbündeten in Afghanistan sieht für den Westen äußerst vernichtend aus: Nach dem Sturz der Taliban im Herbst 2001 sind sie jetzt wieder an der Macht. Nach 9/11 begann die damalige US-Regierung unter Präsident George W. Bush als erste Militäraktion im Zuge des von ihr proklamierten "Kriegs gegen den Terror" ihre Afghanistan-Invasion zum Sturz des Taliban-Regimes. Die Operation "Enduring Freedom" wurde am 7. Oktober 2001 eingeleitet, nachdem sich damals die Taliban geweigert hatten, die unter ihrem Schutz stehende Al-Kaida-Führung um Osama bin Laden an die USA auszuliefern.

Die Zeit nach dem Sturz der Taliban gestaltete sich am Hindukusch als äußert schwierig. Die Zentralregierung in Kabul blieb schwach, der Kampf gegen den Terror glich einer Hydra. Afghanistan entwickelte sich gerade in den vergangenen Jahren zum Hort mehrerer Terrorgruppen. Diskussionen um Aufstockungen von US-Truppen folgten. 2009 sprach sich die damalige US-Regierung - Präsident Barack Obama, Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates - nach langem Ringen doch noch für die Entsendung von zusätzlichen 30.000 Soldaten aus. Joe Biden - damals Vizepräsident - war dagegen. 2011 drückten sowohl Demokraten als auch Republikaner in der Frage des US-Truppenabzugs aus Afghanistan aufs Tempo: Die Eliminierung Bin Ladens - des Hauptverantwortlichen der 9/11-Anschläge - am 2. Mai 2011 habe die Prämisse des US-Krieges am Hindukusch entscheidend verändert, argumentierten Befürworter eines raschen Rückzuges.

Zudem waren die USA damals nicht imstande, pro Jahr mehr als 100 Milliarden US-Dollar in einen Krieg zu investieren, solange sich aufgrund der nachwirkenden Fiskalkrise 2007/2008 die Wirtschaft unter Spardruck befand. US-Präsident Obama meinte deshalb kurz vor seiner Wiederwahl: "Wir müssen uns auf den Aufbau im eigenen Land konzentrieren." Da sich zudem Pakistan aus US-Sicht als kein zuverlässiger Partner im "Kampf gegen den Terror" erwies, reduzierte Obamas Nachfolger Donald Trump die Militärhilfe für das pakistanische Militär drastisch. Später forderte er den raschen Truppenabzug aus Afghanistan und nannte den Feldzug am Hindukusch ein "Desaster".

Mit den Taliban führten die USA seit 2018 gezielt Verhandlungen über den Abzug, unter der Prämisse, dass sich Afghanistan zu keinem "Hort des Terrors" entwickeln sollte. Doch der im Doha-Abkommen festgelegte Fahrplan für eine Befriedung des Landes konnte nicht mehr eingehalten werden, zudem versank die afghanische Innenpolitik im Chaos, als sich am 10. März 2020 Amtsinhaber Ashraf Ghani sowie sein Widersacher Abdullah Abdullah jeweils in getrennten Zeremonien zum Staatspräsidenten küren ließen. Das schwächte die Position der afghanischen Regierung gegenüber den Taliban. Sie wirkte stets uneinig, und ihr Einfluss reichte selten über die Stadtgrenze der Hauptstadt Kabul hinaus.

Gerade in den vergangenen Jahren nahm auch wieder die Gewalt im Zuge erneuter Konflikte zwischen Kämpfergruppen und Warlords enorm zu. Allein 25.000 Menschen starben durch diese Konflikte im Jahr 2018 - die höchste Gefallenenrate seit den frühen 1990er Jahren in Afghanistan. Im selben Jahr starben in Syrien rund 20.000 Personen durch innerstaatliche Konflikte. Und Afghanistan ist heute derzeit das einzige Land in Asien, in dem in der Bevölkerung insgesamt eine höhere Armutsrate vorherrscht als in den 1950er Jahren.

Verfrühter Abzug

Im heurigen März stellte US-Außenminister Antony Blinken klar, die USA könnten in Afghanistan nur dann militärisch eingreifen, wenn die Ziele einer solchen Mission klar definiert und realistisch durchführbar wären und auch der Rückhalt der US-Öffentlichkeit dafür gegeben wäre. Der Vorsitzende der Vereinigten US-Generalstabschefs, General Mark A. Milley, sprach sich dagegen für eine weitere Stationierung von US-Truppen in Afghanistan aus. US-Präsident Biden verkündete zunächst am 14. April, alle US-Truppen bis spätestens 11. September 2021 (20. Jahrestag der 9/11-Terroranschläge) aus Afghanistan abzuziehen. Am 8. Juli gab er dann bekannt, den US-Einsatz offiziell mit 31. August zu beenden: "Ich werde nicht noch eine weitere Generation Amerikaner in den Krieg nach Afghanistan schicken."

Der Grund für den noch rascheren Abzug der US-Truppen lag mit großer Wahrscheinlichkeit im massiven Vordringen der Taliban. Binnen weniger Wochen brachten die Taliban ganz Afghanistan unter ihre Kontrolle. Zum Teil kampflos breiteten sie sich von Provinz zu Provinz aus. Die afghanische Armee leistete kaum Widerstand - trotz milliardenschwerer Investition des Westens. Ausrüstungstechnisch waren die afghanischen Streitkräfte den Taliban zwar sicher weitaus überlegen, doch fehlte wohl der Kampfwille. Am 15. August erklärten die Taliban schließlich ihren Sieg. Der afghanische Präsident floh ins benachbarte Ausland.

Die Conclusio: Die USA waren schon seit einigen Jahren nicht mehr willens, großangelegte Militär- und Stabilisierungsoperationen im Ausland durchzuführen. Vor allem seitens der USA, zahlreicher europäischer Länder, der EU und Indiens wurden zwar tausende Milliarden Dollar schwere Investitionen in die afghanische Infrastruktur getätigt, doch der Auf- und Umbau zu einem Land mit Frauenrechten, demokratischer Partizipation und stabiler wirtschaftlicher Entwicklung sowie insbesondere die Schließung jener globalen Schattenwirtschaftskanäle, in denen Afghanistan als Opiumproduzent eine Rolle spielt, scheiterten völlig.

Afghanistan schien sich aus Sicht vieler westlicher Regierungen über 20 Jahre hindurch als Laboratorium für einen Umbau eines gescheiterten Staates im Sinne einer "guten Regierungsführung" zu entwickeln, die afghanische Bevölkerung schien jedoch im Gesamten daran selbst nicht zu glauben. Die neokonservative Bush-Regierung wollte 2001 Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in die "dunkelsten Ecken der Welt" bringen. Dieses Vorhaben ist in Afghanistan deutlich gescheitert. Vorerst werden sich die Taliban auf ihre Machtfestigung im Inneren stützen. Um daraus resultierenden Herausforderungen gewachsen zu sein, wäre nun eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den an Afghanistan grenzenden Ländern und internationalen Organisationen erforderlich.