· Seit die neue EU-Kommission mit dem Italiener Romano Prodi an der Spitze an diesem Freitag vor 100 Tagen ihr Amt übernommen hat, weht ein frischer Wind aus Brüssel. Vor allem waren | die vergangenen Monate durch das Bemühen gekennzeichnet, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Der frühere Regierungschef und Wirtschaftsprofessor Prodi mit seiner Erfahrung beim Aufräumen mit | der "Schmiergeldrepublik" in Italien erwies sich als gute Wahl, um der durch Skandale diskreditierten EU-Behörde wieder eine saubere Weste zu geben.
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Er hat keinen Tag verloren, um die EU-Kommission kräftig durchzuschütteln und sie von Filz, Vetternwirtschaft und Schlendrian zu befreien.
Dabei hat die Kommission ihre großen Zukunftsaufgaben und laufenden Geschäfte nicht aus den Augen verloren. Die neue EU-Erweiterungsrunde ist auf den Weg gebracht, die gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik nimmt Form an. Bei den Reformen der EU-Institutionen, ohne die die Union mit 27 und mehr Mitgliedern nicht mehr funktionieren kann, steht freilich im kommenden Jahr die
Bewährungsprobe noch bevor.
Prodis Mannschaft von 19 Kommissaren hatte Zeit sich zu profilieren. Der für das wichtige Ressort der EU-Erweiterung zuständige deutsche Günter Verheugen wird allgemein als "Profi" anerkannt. Seine
Kollegin Michaele Schreyer hat gerade noch rechtzeitig vor Jahresende ihren ersten EU-Haushalt unter Dach und Fach gebracht, den sie trotz einer Steigerung von 4,4 Prozent noch als Sparbudget
bezeichnete.
Prodi selbst sieht sich als politischer Kommissionspräsident und tritt dem entsprechend selbstsicherer als seine Vorgänger gegenüber den 15 Staats- und Regierungschefs auf, wie sich kürzlich beim EU-
Gipfel in Helsinki zeigte. Politisches Schwergewicht ist auch der neue EU-Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, der frühere spanische NATO-Chef Javier Solana. Sehr ernst genommen wird
ferner der britische Außenkommissar Chris Patten. Machtkonflikte zwischen den dreien haben sich bisher nicht gezeigt.
Der Nachfolger des unbestechlichen Wettbewerbskommissars Karel Van Miert, der Italiener Mario Monti, hat sich eher als noch schärfer erwiesen. Knallhart lässt er jeden Beihilfefall genau untersuchen,
ob er die Wettbewerbsregeln verletzt. Dabei kommen auch die Deutschen nicht ungeschoren davon, wie die Fälle Rover und das neue VW-Werk in Dresden demonstrieren. Auch der französische
Handelskommissar Pascal Lamy hat sich bei der Welthandelskonferenz von Seattle mit der Vertretung der EU-Interessen einen guten Namen gemacht.
Erstmals hat die Kommission mit Neil Kinnock einen eigenen Kommissar, der ausschließlich für die Reform der Behörde selbst zuständig ist. Diese Reform ist bereits weit fortgeschritten. Nationale
"Erbhöfe" in der Kommission - Posten, die immer von einem Vertreter einer bestimmten Nation besetzt wurden, sind verschwunden. Das Nationalitätenprinzip ist weitgehend abgeschafft. Die Beamten sollen
Europäer sein, die sich mehr und mehr von ihrem Herkunftsland lösen. Leistung, Managementqualitäten, Effizienz sollen die ausschlaggebenden Berufungsmerkmale sein.
Freiwillig haben die neuen Kommissare auf bestimmte Steuerprivilegien verzichtet. Zwangsweise mussten sie sich auf einen neuen Verhaltenscodex verpflichten, der auch die Zeit nach ihrem Abgang aus
der Behörde einschließt.
Noch besteht oft große Unsicherheit der Behörde im Umgang mit den 750 akkreditierten Journalisten. Sie ist bemüht, alles besser zu machen und größtmögliche Offenheit zu zeigen. Doch viele der neuen
Pressesprecher sind noch unerfahren, und das Klima im Pressesaal ist häufig gereizt.