)
Russlands Rückendeckung für Assad laut Experten Nowak ein "Skandal".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Damaskus/New York/Wien. Sie malträtieren Gefangene mit Elektroschocks, verätzen ihre Haut mit Säure, ziehen ihnen die Fingernägel ab und führen Scheinhinrichtungen durch: Bestialische Foltermethoden von Syriens Geheimdiensten gegen Zivilisten und Oppositionelle zählen zum grausamen Alltag des Landes, wie Human Rights Watch (HRW) nun aufzeigt. Die Menschrechtsorganisation veröffentlichte in New York einen Bericht, der 27 syrische Geheimdiensteinrichtungen benennt, in denen systematisch gefoltert wird.

"Die Geheimdienste betreiben ein Netz von Folterzentren, die über das ganze Land verteilt sind", sagt Ole Solvang, Autor des knapp 80 Seiten starken Reports. Über 200 ehemalige Häftlinge und Überläufer schildern darin ihre Erlebnisse; erstmals werden Lager genau lokalisiert. Gleich zehn befinden sich in der Hauptstadt Damaskus, Homs und Latakia - Hochburgen der Oppositionellen - folgen mit jeweils vier Gefangenenzentren; die Dunkelziffer der Folterorte könnte noch wesentlich höher liegen, fürchtet HRW. Die schlimmsten Folterungen ereignen sich in den Lagern von vier Geheimdiensten, die sich gegenseitig konkurrenzieren: Militärgeheimdienst, Luftwaffengeheimdienst und die Direktorate für politische Sicherheit sowie für die allgemeine Sicherheit.
Ein 31-Jähriger schildert, wie Geheimdienstbeamte ihn im Zentralgefängnis von Idlib folterten: "Sie zwangen mich, mich auszuziehen. Dann begannen sie, meine Finger mit Zangen zu quetschen. Dann schossen sie mir Heftklammern in Finger, Oberkörper und Ohren. Über zwei Kabel, die mit einer Autobatterie verbunden waren, gaben sie mir Elektroschocks. Zweimal benutzten sie Elektroschockpistolen an meinen Genitalien. Auf diese Weise folterten sie mich über drei Tage insgesamt dreimal." 603 Syrer kamen seit Beginn des Aufstands gegen Machthaber Bashar al-Assad im März 2011 in Geheimdiensthaft ums Leben, so die Beobachter- und Aktivstengruppe Violations Documentation Center. Verschleppt und erniedrigt werden meist Männer unter 35 Jahren, aber auch Frauen und Greise. Insgesamt konnten die Beobachter 25.420 Syrer identifizieren, die von den Geheimdiensten verhaftet wurden, berichtet "Spiegel Online". Weniger als ein Fünftel davon wurde inzwischen wieder freigelassen.

"Ein Folterstaat par excellence" sei Syrien für Manfred Nowak. Der ehemalige UNO-Sonderberichterstatter für Folter zeigt sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" keineswegs überrascht vom HRW-Bericht. Die arabischen Länder seien für ihre Foltermethoden berüchtigt, Syrien und Ägypten würden dabei am brutalsten agieren. Dorthin wurden auch Gefangene der USA unter der Präsidentschaft von George W. Bush zum Verhör verlegt.
"Alle wissen Bescheid"
Experte Nowak legt den Finger in eine offene Wunde der Veto-Mächte im UNO-Sicherheitsrat: Alle - auch Russland und die USA - wüssten über Syriens Repressionen Bescheid. Dass Machthaber Assad von Moskau noch "immer Rückendeckung erhält, ist ein Skandal". Russland komme seiner Verpflichtung gegenüber der Weltgemeinschaft nicht nach, auch nicht der "Verantwortung zum Schutz", die insbesondere für ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats gelte, zürnt der Jurist. Erst am Dienstag schlug Moskau eine Einladung zur Konferenz der "Freunde Syriens" aus, die am Freitag stattfindet. Dennoch hofft Nowak auf ein Ende des "sehr gefährlichen Weges" Russlands und auf ein gemeinsames Vorgehen im Sicherheitsrat; sonst kann der Internationale Strafgerichtshof nicht gegen die Befehlshaber der Foltereinrichtungen ermitteln.
Währenddessen bemüht sich Assad um Entspannung der Beziehungen Syriens zur Türkei: "Zu 100 Prozent" bedauere er den Abschuss eines türkischen Kampfjets durch die syrische Armee vor knapp zwei Wochen. Man habe das Flugzeug für eine israelische Maschine gehalten, da diese in einem von Israel genutzten Luftkorridor unterwegs gewesen sei. Nach türkischer Leseart wurde die F4-Phantom ohne Vorwarnung und in internationalem Luftraum abgeschossen - was selbst von Partnern der Türkei hinter vorgehaltener Hand bezweifelt wird. Unzweifelhaft ist das Bröckeln von Assads Regime auch unter den Militärs: 85 Soldaten flüchteten alleine am Montag in die Türkei, darunter angeblich auch ein General. Sie hätten sich geweigert, auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen. Die oppositionelle Freie Syrische Armee spricht gar von sieben desertierten Offizieren.