Lehrergewerkschaft droht Minister wegen Streichung von Fenstertagen mit Kontroverse. AHS-Direktoren fordern Hilfe durch Zivildiener, Turnunterricht sorgt für Diskussionsstoff.
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Die schrittweise Rückkehr vom Heimunterricht während der Corona-Krise für Schüler und Lehrer in die Schulklassen erfolgt alles andere als reibungslos. Der Chef der Gewerkschaft der Pflichtschullehrer, Paul Kimberger, führte Montagfrüh ein längeres Telefonat mit Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP). Grund dafür war die vom Ressortchef verkündete Streichung der beiden unterrichtsfreien Fenster-Freitage nach Christi Himmelfahrt und Fronleichnam, damit die Schüler bis zum Schulende noch etwas mehr Unterrichtszeit bekommen. Das hat Lehrern und vor allem ihren Gewerkschaftern das Wochenende verdorben. Der für Sport zuständige Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kam mit seiner Aussage, dass auch Turnunterricht wieder möglich sei, Faßmann regierungsintern in die Quere, weil der Bildungsminister vom Turnen in der Schule abgeraten hatte.
Rund um die Schulen rumorte es am Montag gehörig. Dabei hatte der Bildungsminister am Freitag mit der Bekanntgabe des Etappenplans zur Wiederaufnahme des Unterrichts in den Schulen für die Maturanten am 4. Mai, Volks- und Mittelschüler sowie AHS-Unterstufe ab 18. Mai und für die Oberstufen ab 3. Juni zunächst für Klarheit und ein Aufatmen gesorgt. Gleich danach schnappten Lehrergewerkschafter nach Luft wegen der Streichung der beiden an sich schulautonom festzulegenden Freitag-Fenstertage. Von Vorarlberg bis Wien protestierten Pflichtschullehrergewerkschafter, dass Faßmann dies gleichsam vom Katheder aus verordnet hat - ohne vorherige Gespräche. Der Vorsitzende des Zentralausschusses an Wiens Pflichtschulen, Thomas Krebs, von den dominierenden schwarzen Christgewerkschaftern, machte seinem Ärger in einem der "Wiener Zeitung" vorliegenden Newsletter Luft. Er gab Faßmann Nachhilfe, dass die schulautonomen unterrichtsfreien Tage für die die Pflichtschulen laut Bundesgesetz in Landesgesetzen zu regeln seien. Wenn das Parlament dieses Bundesgesetz ändern wolle und diese Fakten ignoriert würden, gebe es nicht nur "viel Diskussionsbedarf", dies würde auch "zu einer Kontroverse führen", warnte er.
Schulen in Wien an der Kapazitätsgrenze
Ein "Schrei" hallte auch von den roten Pflichtschullehrergewerkschaftern durch die leeren Klassenzimmer und Gänge. Für Thomas Bulant brodelt es an den Schulen. Die roten Wiener Lehrervertreter informierten die Pädagoginnen und Pädagogen, dass beim Etappenplan noch vieles offen sei. So richtete man an den Bildungsminister die Forderung, dass wegen der vorgesehenen Teilung der Klassen in zwei Gruppen die Schulen nun an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, weil daneben eine Betreuungsmöglichkeit für jene gegeben sein müsse, die ihre Hausaufgaben nicht zu Hause machen könnten. Die unmissverständliche Forderung lautet: Raum- und Personalkapazitäten müssten berücksichtigt werden. Grundsätzlich herrscht bei Lehrervertretern Sorge, dass es gerade in Volksschulen schwierig werde, Hygiene- und Abstandsvorschriften einzuhalten.
Eine bessere Kommunikation und eine bessere Einbindung der Lehrervertreter seien bei dem Telefonat mit Faßmann vereinbart worden, erklärte Gewerkschaftschef Kimberger der "Wiener Zeitung". Wie es tatsächlich weitergeht, darüber sei Stillschweigen vereinbart. Die Zeit drängt enorm. Denn inzwischen wollen die zigtausenden Lehrer bundesweit wissen, wie alles im Detail bei der Wiederaufnahme des Unterrichts ablaufen soll und muss.
Gleichzeitig sorgte die türkis-grüne Bundesregierung selbst für den nächsten Pallawatsch. Sportminister Kogler war am Sonntagabend im ORF-Sport dem Bildungsminister von hinten reingegrätscht, indem er meinte, auch Turnunterricht sei möglich. Faßmann hatte hingegen am Freitag die Turnstunden praktisch aus dem bis Ende des Schuljahres ohnehin geschrumpften Stundenplan gestrichen.
Aufregung wegen Turnen und Musik
Am Montag wurde auf Nachfrage im Bildungsressort bekräftigt, der Minister habe bei seiner Pressekonferenz über die Wiederaufnahme des Schulbetriebs gesagt, dass "einige Fächer virologisch bedenklich" seien. Das gelte vor allem für Mannschaftssportarten. Das wären etwa Fußball und Volleyball. Während Turnlehrer und Sportbegeisterte zornbebend schnaubten, warum den Schülern nach wochenlangem Heimunterricht auch diese Bewegungsmöglichkeit gestrichen werde, wurde in Pflichtschulen bereits ganz nach Empfehlung von Bildungsverantwortlichen ein neuer Stundenplan ohne Turnen für das restliche Schuljahr ausgetüftelt. Musiklehrer protestierten gegen die Streichung der Musikstunden. Dazu gebe es noch einen "Diskussionsprozess", hieß es im Bildungsministerium. Auch Werken werde man sich genauer ansehen müssen.
So als wäre all das noch nicht genug, meldeten sich auch die AHS-Direktoren wegen der Zentralmatura zu Wort. Deren Sprecherin, die Weinviertlerin Isabella Zins, forderte, die Rückkehr in die Schulunterstufen solle erst nach der schriftlichen Matura, die Ende Mai stattfindet, erfolgen, um größtmöglichen organisatorischen Spielraum zu haben. Damit wäre Faßmanns Plan hinfällig, für 6- bis 14-Jährige Mitte Mai zu beginnen. Die AHS-Schulleiter wollen auch externe Unterstützung bei der Organisation - etwa durch Zivildiener.
Ein anderes Problem wird erneut virulent: Es geht dabei um den Lernfortschritt während des Heimunterrichts, vor allem bei Kindern aus sozial schwachen Familien und Migrantenfamilien. Nach einer Studie der Universität Wien hat ein Viertel der 10- bis 19-jährigen Schüler weniger als 3,5 Stunden täglich beim Heimunterricht seit Mitte März wegen der Corona-Ausgangssperren verbracht. Im Durchschnitt waren es fünf Stunden pro Tag.