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In der Antike waren die Politiker auch nicht ehrlicher

Von Walter Hämmerle

Politik
Wissenschaftsminister und Cicero-Forscher: Für Karlheinz Töchterle sind Idealisten auch nur verkappte Machtpolitiker.
© © WZ / Andreas Urban

Wissenschaftsminister Töchterle über die Demokratie im alten Rom und heute.


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"Wiener Zeitung": Es sei besser, ein Versprechen zu brechen, als erst gar kein Versprechen abzugeben, rät Quintus Tullius Cicero seinem berühmteren und gerade wahlkämpfenden Bruder Marcus. Demokratie, also die Notwendigkeit, um Stimmen zu werben, hat Politik offensichtlich nicht moralischer gemacht - nicht vor mehr als 2000 Jahren und auch nicht heute.

Karlheinz Töchterle:: Nein, aber man muss es wohl anders sehen. Demokratie wirbt um Stimmen, indem konkrete Interessen bedient werden. Das mag vielleicht banal sein, hat aber Konsequenzen.
Wobei man aber doch festhalten muss, dass die römische Republik nur am Rande etwas mit einer Demokratie nach heutigen Vorstellungen zu tun hatte. Die Wähler waren nach Stand und Vermögen in fünf Klassen eingeteilt; bei Wahlen ging es dann einzig und allein darum, wie die beiden reichsten Klassen abgestimmt haben. Um im alten Rom Wahlen zu gewinnen, musste man also vor allem die Interessen der Besitzenden vertreten.
Dahinter steckte ein Delegiertensystem, das, wenn man denn unbedingt will, man allenfalls mit dem US-System der Wahlmänner vergleichen kann.

Interessen zu vertreten, ist für sich genommen ja nicht verwerflich. Die Ratschläge Ciceros aber laufen darauf hinaus, dass es allein um den Wahlsieg geht, und diesem Ziel müsse sich das ganze Verhalten, die ganze Persönlichkeit eines Politikers unterordnen. Faszinierend ist, wie modern die Tipps klingen: Negative Campaigning, die Wichtigkeit von Inszenierungen, die Erweisung kleinerer und größerer Gefälligkeiten, die Anpassung von Sprache und Botschaft an das Zielpublikum, das Werben um die Mächtigen und Reichen, ja nicht einmal der Ratschlag, sich auch die Namen und Gesichter einfacher Bürger zu merken, um ihnen zu schmeicheln - nichts fehlt. Erkennen Sie sich selbst als Politiker in diesem Leitfaden wieder?

Ich habe den Vorteil, dass ich bis auf wenige Ausnahmen noch nicht wirklich Wahlkampf betreiben musste. Persönlich glaube ich, dass ich mich auch dann nicht verbiegen werde, aber das behauptet wohl jeder Politiker von sich. Und was das notwendig Chamäleonhafte angeht, so passt das auf mich sowieso: Ich bin Universitätsprofessor, Arbeiterkind und wohne auf dem Land; mich interessieren die Anliegen eines Bauern, Handwerkers und Hotelbesitzers genau so wie die eines Uniprofessors oder Forschers.

Haben Sie eine Erklärung, warum sich, wenn es um Regierungsfragen geht, immer jene Autoren durchsetzen, die sich nicht auf ethische Prinzipien, sondern auf das nüchterne Ziel der Machterringung konzentriert haben?

Die Stärke dieser Texte liegt in ihrer schonungslosen Ehrlichkeit. Dagegen sind ethische Politikentwürfe, wie etwa Platons "Politeia" oder Ciceros "De re publica" idealistisch geprägt.
Hier plädiert Cicero für eine Mischverfassung, anderswo etwa für eine Einheit der Stände und einen Konsens aller "Guten". Aber wen meint er mit diesen Guten? Natürlich, alle, die seiner eigenen Meinung sind. Was ich damit sagen will: Der Idealismus dieser Werke dient oft nur der Ummantelung konkreter Machtinteressen.
Platons Plädoyer für einen Philosophenkönig als perfekten Herrscher ist auch nichts anderes als eine Werbeschrift für eine strikte ständische Gliederung. Selbst das Argument, dass es um Gerechtigkeit gehe, wie sowohl in "De re publica" als auch in "Politeia" behauptet wird, hilft nicht wirklich weiter, weil auch hier irgendwer definieren muss, was konkret unter Gerechtigkeit verstanden werden soll. Demgegenüber muss man bei realistischen Ratgebern nicht lange nach versteckten Motiven suchen.

Gibt es nicht eine moralische Rechtfertigung der Lüge in der Politik, um etwa mit einem kleineren ein größeres Übel zu verhindern?

Wenn sich in einer Demokratie eine Sache nicht offen und ehrlich kommunizieren lässt, dann hilft auch eine Lüge nicht weiter.

Auch nicht, wenn es um wirklich große Fragen geht, etwa von Krieg und Frieden?

Das ist unglaublich schwierig zu beurteilen. Was ist etwa einer aktuellen, was einer kommenden Generation an Lasten zumutbar? Die kurzfristige Ausrichtung unserer Politik auf den nächsten Wahltag kann mitunter zu problematischen Entwicklungen führen. Ich sehe nur ein wirksames Gegenrezept, und das ist der gebildete, der mündige Bürger. Wenn ich aber sehe, wie schnell und wie einfach sich Menschen manipulieren lassen, so bin ich manchmal in Sorge, was die Aussichten für die Demokratie betrifft.

Das würde dann allerdings doch wieder kleine Notlügen zum Wohle des größeren Ganzen rechtfertigen - irgendwie zumindest.

Das kann es nicht sein, die Gefahr ist zu groß. Viele Tyrannen haben ihr ganzes Handeln einem Ziel untergeordnet, von dem sie wahrscheinlich überzeugt waren, dass es richtig sei. An den mitunter furchtbaren Folgen hat all das nichts geändert. Ich sehe keinen anderen Weg als denjenigen, sich auf das Urteilsvermögen der Staatsbürger zu verlassen - umso wichtiger ist, dass diese gebildet sind.

Wissen: Wahlkampftipps aus dem alten Rom

"Commentariolum Petitionis" ("Kleines Handbuch über das Stimmenwerben") heißt ein Wahlkampfleitfaden, den im Jahre 64 v. Chr. der jüngere Bruder des berühmten Marcus Tullius Cicero, Quintus Tullius Cicero, für seinen älteren Bruder verfasst hat.

Das renommierte Außenpolitikmagazin "Foreign Affairs" (Mai/Juni 2012) hat vor dem Hintergrund des laufenden US-Wahlkampfs und anlässlich einer englischen Neuübersetzung der "Commentariolum Petitionis" eine knappe Zusammenfassung der Hauptthesen Quintus Tullius Ciceros veröffentlich. Ergänzt wurde der Essay mit dem Titel "Kampagnentipps von Cicero" durch einen kurzen Text des US-Spindoktors James Carville, der einst Bill Clinton erfolgreich in das Oval Office im Weißen Haus führte.

In seinem Text gibt Quintus Tullius Cicero, seinem Bruder, dem berühmtesten Redner und Anwalt seiner Zeit, praktische Tipps für dessen Wahlkampf um das Amt eines Konsuls.

Das Werk liest sich wie ein Leitfaden für moderne Wahlkämpfer. Quintus bestärkt seinen Bruder darin, dass dieser über alle Eigenschaften eines Kandidaten verfüge; er empfiehlt ihm, seine Gegner in schiefes Licht zu tauchen; er betont die Wichtigkeit, potenziellen Wählern Gefälligkeiten zu erweisen, auf dass sie künftig in der Schuld des Kandidaten stehen, und die Mächtigen zu hofieren und zu umwerben.

Der Vorwurf, die heutige Politik sei negativer und ihre Berater seien zynischer als je zuvor, läuft also ins Leere.

"How to Win an Election: An Ancient Guide for Modern Politicians", Autor: Quintus Tullius Cicero, Übersetzung ins Englische: Philip Freeman