Zum Hauptinhalt springen

In der Arktis, da gibt’s a Sünd’

Von Edwin Baumgartner

Kommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Da sage noch einer, die Galanterie sei ausgestorben. Wenn ein Mann tausende und abertausende Kilometer zurücklegt in unwirtlichen Gefilden, nur um seiner Geliebten nahe zu sein ... - das hat schon was.

Ich meine: Romeo geht nur ein paar Gassen weit, um mit seiner Julia die neuesten ornithologischen Erkenntnisse auszutauschen. Tristan reist von Cornwall nach Irland - das immerhin in Segelschiffzeiten. Was von Vorteil ist, denn im Flugzeug wäre auf dieser Strecke kaum Zeit für einen Quickie auf der Toilette.

Der Mann, von dem ich spreche, reist seiner Angebeteten 13.000 Kilometer nach, und das nicht im sonnigen Italien wie Signore Romeo, oder im milden südenglischen Klima wie Mister Tristan, sondern in der scheußlich kalten Arktis. Soll man diesem Fernreisenden in Herzensdingen vorwerfen, wenn er dabei fremdgeht? Unfair dünkte mich das! Außerdem: Die Frauen erlauben ihm ja sein polygames Leben, wenn er bereit ist, für sie tausende Kilometer Arktis hinter sich zu bringen.

Wie bitte? - Wer unkt da, diese Frauen seien Schnepfen? Ja, eh, sind sie. Graubruststrandläuferinnen, um genau zu sein. Aber im speziellen Fall ist er, der Herr Graubruststrandläufer, auch eine, oder meinetwegen gegendert: ein Schnepferich. Dass sein Verhalten kein Shakespeare gedichtet hat und kein Chrétiens de Troyes, son-
dern dass es eine Studie von Bart Kempenaers und Mihai Valcu vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen ist - was tut’s? Denn Hand aufs Herz: Welche Frau würde nicht einen Romeo oder einen Tristan, diese Kurzstreckenläufer, eintauschen gegen solch einen arktischen Überflieger?