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Heftiger Streit um Emissionshandel. | Franzosen wollen Einigung unbedingt. | Brüssel. Die EU steuert auf einen Showdown zu. Es sei der wichtigste EU-Gipfel bisher, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Dienstag. Die Welt schaue darauf, ob Europa sich einigen könne. Angestrebt ist ein Signal an die UNO-Klimakonferenz in Posen, die zeitgleich mit dem Gipfel zu Ende gehen soll.
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Die Klimaschutzziele festzuschreiben war noch verhältnismäßig einfach: 20 Prozent weniger Treibhausgasausstoß, 20 Prozent Anteil Energie aus erneuerbaren Quellen und 20 Prozent weniger Energieverbrauch hatten die Staats- und Regierungschefs im März 2007 beschlossen. Das will die EU auch bei der nächsten UN-Klimakonferenz in Kopenhagen in einem Jahr als Beitrag für ein globales Klimaschutzregime einbringen, das für die Zeit nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls ab 2013 gelten soll. Bei ihrem Treffen ab Donnerstag müssen sich die EU-Chefs aber noch im Wesentlichen darauf einigen, welches Land wie viel zu diesen hehren Zielen beitragen soll. Das ist ungleich schwieriger. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der noch bis Monatsende der EU vorsitzt, will es aber unbedingt schaffen. Zur Not soll bis in die Morgenstunden des Samstags verhandelt werden.
Denn kurz vor dem Auftakt gab es laut Diplomatenkreisen noch "mehrere Dutzend offene Fragen". Und die Interessen der Mitgliedsstaaten sind sehr unterschiedlich. Vor allem die Neuauflage des Emissionshandels ab 2013 macht Probleme. Nach den Ideen der EU-Kommission hätten die meisten Betriebe zumindest den Großteil ihrer Verschmutzungsrechte künftig versteigern müssen.
Österreich fürchtet Firmen-Abwanderungen
Die meisten westlichen Industriestaaten wollen wie Deutschland und Österreich zwar nicht ernsthaft die Klimaziele in Frage stellen - nur Italiens Premier Silvio Berlusconi zweifelt etwas daran. Unbedingt verhindern wollen sie aber, dass Industriebetriebe durch die teuren Klimaschutzauflagen ihren Standort nach außerhalb der EU verlagern und dort ohne strenge Regeln noch viel mehr CO 2 in die Atmosphäre blasen. Vor allem kostet dieses in der EU-Sprache Carbon Leakage genannte Phänomen Arbeitsplätze.
Paris lockt mit
Ausnahme-Zuckerln
Frankreich schlägt nun weit reichende Ausnahmen für Industriesektoren vor, die viel Energie verbrauchen und/oder dem globalen Wettbewerb stark ausgesetzt sind. Rund 90 Prozent der Branchen könnten demnach laut Brüssel davon erfasst sein. Sie sollen weiterhin 80 bis 100 Prozent der Emissionszertifikate gratis zugeteilt bekommen. Über die jährliche Verknappung des ausgegebenen Volumens würde dennoch die angestrebte Reduzierung der Abgase erzielt, so die Logik, der einige Industrieländer folgen können.
Doch es folgte ein Aufschrei der neuen Mitgliedsländer, allen voran Polens und Ungarns. Auf Basis der jeweiligen Wirtschaftsleistung sollten ihre Kosten für die Umweltschutzauflagen bis zu einem gewissen Teil aus dem Topf der Versteigerungserlöse abgefangen werden. Doch nun fürchten die neuen Länder, dass kaum etwas erlöst werde, wenn so viele Sektoren ausgenommen würden.
Österreich, Deutschland und andere hätten daraufhin moniert, dass es sich beim Emissionshandel schließlich in erster Linie um den Klimaschutz und nicht die Unterstützung der Wirtschaft in den neuen EU-Ländern handle, hieß es.
Und die wollen auch Ausnahmen für ihre Stromerzeuger, die ab 2013 ihre Verschmutzungsrechte zu 100 Prozent ersteigern müssten. Doch etwa Polen erzeugt über 90 Prozent seines Stroms mit Kohle, die Kraftwerke blasen entsprechend große Mengen CO 2 in die Luft.
Um das leistbar zu machen, offerierte Paris den Ländern erst eine Übergangsphase mit 50 Prozent Gratiszertifikaten für die Energieversorger bis 2016. Als das von Warschau abgelehnt wurde, war nach einem Treffen von Sarkozy und dem polnischen Premier Donald Tusk von 2019 die Rede. Ausnahmen bis dahin bezeichnete der Pole als "vernünftige Lösung". Nach einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern, Dienstag, erklärte er, die Wahrscheinlichkeit eines polnischen Vetos habe sich "eher verringert". Der Gipfel könne ohnehin nur eine Einigung in politischen Kernfragen erzielen, hieß es in Diplomatenkreisen. Und dass so viele Länder mit den Kompromissvorschlägen noch unzufrieden seien, sei üblicherweise ein Zeichen dafür, dass das Paket ausgewogen und daher nahe an einer Lösung sei.