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In der Hauptstadt der Seelenverkäufer

Von Petra Ramsauer

Politik

Wie Libyens Bürgerkrieg die Flüchtlingswelle dynamisiert und der Menschenhandel den Krieg.


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Tripolis. Yakintee Mamadu zitterte am ganzen Leib. Nur wenige Stunden war es her, als den jungen Mann - er stammt aus der Elfenbeinküste - Einsatzkräfte aus einem gekenterten Fischkutter vor der Küste Libyens gerettet hatten. 169 Menschen waren an Bord des Schiffes gewesen, sie alle wurden an einem eiskalten Morgen im Dezember gerettet. Es war aber nicht der Schock darüber, knapp dem Tod entronnen zu sein, warum Yakintee Mamadu völlig verzweifelt war, als ihn die "Wiener Zeitung" in einem Auffanglager in Libyens Hauptstadt Tripolis traf. "Sie haben mich geschlagen", wiederholte er wieder und wieder.

Was danach mit Yakintee Mamadu und seinen Schicksalsgenossen geschah, entbehrte jeder Menschenwürde. Zusammengepfercht, misshandelt und getreten wurden die Flüchtlinge von den Mitarbeitern der Behörden der damals noch einigermaßen intakten libyschen Regierung. Scham empfanden die Peiniger nicht. Sie erlaubten, dass Reporter bei der Folter zusahen.

Die Lage hat sich fürdie Flüchtlinge verschärft

Seither hat sich viel verändert: Die Lage ist schlimmer geworden. Viel schlimmer. So sind Reportagen wie diese heute nicht mehr möglich. Längst tobt in Libyen ein gnadenloser Bürgerkrieg, ausländische Reporter können sich hier nicht mehr frei bewegen, kaum noch eine internationale Vertretung wagt, ihre Büros zu öffnen oder gar Diplomaten zu stationieren. Morde auf offener Straße, Bombenanschläge und Entführungen sind an der Tagesordnung.

Auch ein österreichischer Mitarbeiter einer Öl-Firma ist seit über einem Monat in Geiselhaft. Mutmaßlich wurde er von den radikal-islamistischen Anhängern der Terrororganisation IS in Libyen entführt. Die Tatsache, dass diese Extremisten, die sich mit den wahnwütigen Milizen in Teilen Syriens und des Iraks verbündeten, bedeutet auch eine Verschärfung der fürchterlichen Lage der Flüchtlinge.

"Ich musste aus Libyen weg. Einfach nur, um zu überleben. So rasch es nur irgendwie ging", sagte Mamadou, ein 18-Jähriger aus dem Mali in einem Interview mit der britischen Tageszeitung "The Telegraph". Er und zahlreiche andere Jugendliche berichteten dabei von unvorstellbaren Übergriffen; auch davon, dass sie einige gesehen hätten, die geköpft wurden. Die Flüchtlinge dürften nicht übertrieben haben. Nun tauchte ein Video des IS auf, in dem die Enthauptung von 30 Äthiopiern nahe der Küstenstadt Bengasi zu sehen ist. Die äthiopische Regierung hat die Authentizität des fürchterlichen Vorfalls bestätigt.

Wer noch in Libyen ist, wird nun versuchen, auf der Stelle zu fliehen. Und das sind sehr, sehr viele Menschen: Zwischen einer halben Million und einer Million Menschen warten dort derzeit auf die nächste Überfahrt nach Europa. Gemeinsam mit der Region um die ägyptische Hafenstadt Alexandria ist der Küstenstreifen um die libysche Hauptstadt der zentrale Ausgangspunkt der Bootsflüchtlinge des Mittelmeeres.

Fast drei Viertel aller Migranten, die übers Meer nach Europa wollen, starten von Libyen aus. 4500 Kilometer lang ist die Landgrenze, die fast zur Gänze durch die Wüste verläuft und kaum zu überwachen ist, selbst wenn der Staat nicht im Chaos gefangen wäre. Dazu kommt eine 1880 Kilometer lange, unübersichtliche Küste, die nur knapp 300 Kilometer von Italiens südlichen Inseln entfernt liegt.

170.000 Menschen brachen im Vorjahr von Libyen Richtung Lampedusa, Sizilien und auch Malta auf, mehr als vier Mal so viel wie 2013 und heuer dürfte der nächste Rekord erreicht werden. Die größte Gruppe sind Syrer, die sich hierher durchgeschlagen, haben. Der Rest stammt aus Afrika südlich der Sahara.

Die beiden anderen Routen führen über den Osten des Mittelmeeres nach Griechenland, 80.000 Menschen zählte man hier im Jahr 2014, über Algerien und Marokko versuchten "nur" 8000 zu flüchten. Dies liegt auch daran, dass die beiden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla auf marokkanischem Festland hier das zentrale Ziel sind. Zuletzt versuchten im Oktober 2014 mehrere hundert Flüchtlinge, die hermetisch abgeriegelten Oasen Europas zu stürmen.

Angesichts der besonders dramatischen Lage in Libyen konzentrieren sich nun aber die Bemühungen zur Lösung dieser größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg auf dieses Land. 2013 investierte die EU in das Training von libyschen Grenzschutzexperten 40 Millionen Euro. Diese Einheiten haben sich nur längst aufgelöst. Und eine Anlage zur Personenkontrolle für den Flughafen in Tripolis, auch gesponsert von der EU, Kostenpunkt zwei Millionen Euro, ging in Flammen auf, als der Flughafen bombardiert worden war.

"Ich bin ein Dienstleister", sagt der Schlepper

Nun soll es in einem weiteren eiligen Anlauf vor allem um den Kampf gegen die Symptome der Krise gehen - jenen gegen Schlepper. "Das ist unsere Priorität, nur haben wir keinen Schimmer, wie und mit wem wir uns ins Libyen koordinieren sollen", so Alvaro Rodriguez, ein spanischer Polizist, der für eine eigens gegründete Europol-Einheit tätig ist: "Es ist uns nicht einmal klar, wen wir bitten sollen, dort jemanden zu verhaften." Dazu käme, betont Rodriguez, dass die verfeindeten Milizen, die sich in Libyen bekämpfen, auch mit den Schleppergruppen unter einer Decke stecken würden.

Menschenhandel ist hier ein einträgliches Geschäft. Bis zu tausend Euro bezahlt ein Flüchtling für einen Platz auf einem Boot. "Ich kriege da bis zu 200 Menschen pro Schiff unter. Damit verdiene ich gigantisch viel. Bei fünf Booten pro Woche sind das eine Million", so ein Schmuggler, der in Zuwara, einem der zentralen Knotenpunkte von Menschenschmugglern, der Zeitung "The Guardian" im Sommer des Vorjahres ein Interview gab: "Ich bin doch kein Krimineller. Ich bin ein Dienstleister."