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In der Hoffnung vereint

Von Simon Rosner

Politik
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EU-Beitritt am 1. Juli trifft Kroatien in der Rezession - Geldgeber gesucht.


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Wien. Wenn die Temperaturen wie derzeit jenseits der 30-Grad-Marke liegen, kann es schon einmal passieren, dass die Gedanken ein wenig abschweifen. Und zwar in Richtung Süden: Strand, Meer, Ferien, jedenfalls weit weg aus Wien. Und wenn dann, wie jeden Sommer, hunderttausende Österreicher zu ihrem Urlaub nach Kroatien aufbrechen, werden sie in ein Land fahren, das gerade eine echte Zäsur erlebt. Denn am 1. Juli wird das nach Italien zweitbeliebteste Reiseland der Österreicher offiziell Mitglied der Europäischen Union, zehn Jahre, nachdem das Land seinen Antrag in Brüssel eingebracht hat.

Ein deshalb völlig verändertes Land werden die Urlauber freilich nicht zu sehen bekommen, und auch bei der Anreise wird sich vorerst nichts ändern. Der Schengen-Beitritt Kroatiens ist erst für 2015 geplant, und wann der Euro die Kuna ablöst, ist noch völlig offen. Doch eines bewirkt der Beitritt jedenfalls: Er beseelt jene Bereiche, in denen das Land nicht so funktioniert, wie sich die Menschen das vorstellen, mit Hoffnung; der Hoffnung, es möge ab jetzt aufwärts gehen. Schließlich befindet sich Kroatien seit fünf Jahren in einer Rezession.

Experten erwarten keinen Boom wie bei EU-8

Alen Kovac, der Chefökonom der Erste Bank Kroatien, glaubt aber nicht, dass das Land so stark profitieren wird, wie es die 2004 beigetreten EU-Mitglieder, darunter der nördliche Nachbar Slowenien, erlebten. Und auch Roman Rauch, der Wirtschaftsdelegierte des Außenwirtschafts-Centers in Zagreb, hält den ersehnten Boom für ein eher unrealistisches Szenario. "Die große Investitionswelle wird es nicht geben", sagt Rauch.

Doch genau daran knüpfen die Kroaten ihre Hoffnung, die Arbeitslosenrate, die bei 20 Prozent liegt, nachhaltig zu senken. Doch es ist vielmehr die EU-Mitgliedschaft, die dafür sorgen könnte, dass die Zahl der Arbeitslosen noch einmal steigt. Zumindest kurzfristig. "Im Staatssektor, der immer noch 35 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, stehen massive Strukturreformen an", sagt Rauch. An Kündigungswellen führe kein Weg vorbei, "und die sind in den Arbeitslosenzahlen noch gar nicht eingerechnet".

Doch gänzlich unbegründet ist die Hoffnung der Kroaten nicht. Schließlich stehen ihnen nun EU-Mittel zur Verfügung, die allein bis Jahresende 655 Millionen Euro betragen. Ab 2014 sind Förderungen von bis zu 1,1 Milliarden Euro pro Jahr möglich, und das sechs Jahre lang.

"Wenn man das professionell betreibt, ist immens viel Geld zu lukrieren - auch gemessen am BIP", sagt Rauch. Das Bruttoinlandsprodukt Kroatiens beträgt etwa 45 Milliarden Euro, jenes von Österreich beträgt etwa das Siebenfache. Das EU-Geld fließt jedoch nicht einfach so nach Zagreb, es braucht Projekte, die von ausländischer oder inländischer Seite getragen werden. Doch trotz Kofinanzierungsraten bis zu 80 Prozent sagt Rauch: "So viele Projekte gibt es nicht." Er glaubt nicht, dass die EU-Gelder ausgeschöpft werden.

Für die österreichische Wirtschaft sollten sich aber jedenfalls Chancen ergeben, wovon auch Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl überzeugt ist: "Wir haben derzeit 750 Betriebsansiedlungen, und ich bin überzeugt, wir werden in absehbarer Zeit den 1000er feiern", sagt Leitl. "Österreichische Unternehmen investieren nachhaltig und langfristig orientiert. Schnelles Abcashen ist nicht ihre Sache, daher glaube ich, passen wir gut hierher."

Ein bisschen anders formuliert: Manches dauert in Kroatien sehr lange, und nicht immer ist durchschaubar, warum. Ohne Beitritt hätte es zwar bereits erfolgte Veränderungen nicht gegeben, ist Rauch überzeugt, doch nach wie vor sei Kroatien ein schwieriger Markt. "Man braucht auch lokale Partner, auf regionaler Ebene gibt es noch große administrative Hindernisse, Gesetze widersprechen einander, und dadurch verzögern sich Projekte", erzählt der Wirtschaftsdelegierte.

Gemeinsamer Binnenmarkt senkt Logistikkosten

Doch ausländische Investoren verlangen Rechtssicherheit und schnelle Entscheidungswege, die das designierte EU-Land noch nicht bieten kann. Es ist auch ein Grund, weshalb der erhoffte Boom wohl vorerst eine Hoffnung bleiben wird. "Aber für Firmen etwa im Bereich Abwasser, in dem wir sehr gut sind, kann der Beitritt enorm viel bringen", sagt Rauch.

Für bereits in Kroatien operierende österreichische Unternehmen wird sich durch den gemeinsamen Binnenmarkt mit 1. Juli aber jedenfalls einiges ändern. Wohl weniger für die Finanz- und Versicherungsbranche, in der österreichische Konzerne seit Jahren sehr aktiv mitmischen. So sind von den fünf größten Banken Kroatiens allein vier in österreichischen Händen, und die Vienna Insurance Group ("Wiener Städtische") gilt bei Lebensversicherungen als Marktführer. Doch für den Warensektor und die Baubranche erleichtert der Beitritt vieles.

"Die Importhemmnisse fallen weg", sagt der Wirtschaftsdelegierte der Wirtschaftskammer. Hygienekontrollen fallen weg, Bauprodukte müssen nicht noch einmal auf ihre Feuerfestigkeit überprüft werden, künftig reicht die jeweilige EU-Kennzeichnung. Auch der Transport wird beschleunigt, die Lkw werden nicht mehr stundenlang an der Grenze stehen. "Die Logistikkosten werden sich um bis zu sechs Prozent reduzieren", sagt Rauch.

EU-Beitritt erschwert Exporte nach Bosnien

Der Vereinfachung beim Import aus EU-Ländern steht aber eine künftige Erschwernis für Exporte nach Bosnien gegenüber, da Kroatien automatisch aus dem Freihandelsabkommen mit den Nachbarn aussteigt. Während es mit Serbien einen neuen Vertrag geben dürfte, will Bosnien seinen Markt schützen. Doch für die kroatische Wirtschaft, und da vor allem für die Lebensmittelindustrie, ist Bosnien ein wichtiger Markt. Einige Firmen haben daher begonnen, Betriebe in Bosnien anzusiedeln sowie bestehende zu vergrößern. Doch auch das kostet in Kroatien selbst Arbeitsplätze.

Aktuelle Studien über die Auswirkungen der EU-Mitgliedschaft gibt es laut Rauch so gut wie gar keine. Auch, was die Folgen für den Alltag betrifft. "Manche Waren werden billiger werden." Österreichische Urlauber werden das freilich kaum spüren, denn die Touristenorte bleiben relativ teuer. Doch ab 1. Juli kann man immerhin das Essen mitnehmen. Das taten zwar vor allem die Wohnmobil-Urlauber auch bisher, allerdings illegalerweise. Wer etwa Fleisch in den Camper packte, konnte dafür bestraft werden. Das fällt nun weg. Und wenn die Essensvorräte einmal aufgebraucht sind: Spar und Billa, die beiden in Kroatien vertretenen heimischen Versorger, können ab 1. Juli auch österreichische Wurst anbieten.