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In der Krise niemanden übergehen

Von Katharina Nora Bruhn

Gastkommentare

Corona kennt keinen Reisepass - die Maßnahmen der Regierung schon, zu unser aller Nachteil.


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Sars-CoV2 hat uns alle verunsichert. Ein Virus, das die Speziesbarriere überwunden hat und nun seit Wochen und Monaten den Alltag von Millionen Menschen weltweit bestimmt. So auch meinen. Ich bin Ärztin in Basisausbildung an einem Wiener Krankenhaus. Die Sache mit der Ärztin ist für mich fast so neu wie die Sache mit Covid-19, so neu, dass ich mich noch immer oft nicht angesprochen fühle, wenn die "Frau Doktor" adressiert wird.

Wir erleben eine Auflösung der Konturen unseres Alltags, wie wir sie über Generationen nicht gekannt haben. Dinge, die wir für völlig unvorstellbar gehalten haben, werden plötzlich Realität. Inmitten dieser Umbrüche und Zweifel sind wir vor allem mit uns selbst beschäftigt.

Obwohl sogar Kanzler Sebastian Kurz plötzlich von Solidarität spricht - ein Wort, das man in seinem Vokabular bisher suchte wie die Nadel im Heuhaufen - und wir tatsächlich viele großartige Handlungen in der Zivilgesellschaft sehen, die diese Solidarität nicht nur predigen, sondern auch leben, merken wir gleichzeitig auch, dass das Krisenhafte uns davon abhält, uns nach unseren Mitmenschen umzuschauen. Genau das sollten wir aber tun.

Aus medizinischer Sichtist die Sache klar

Als Gesellschaft laufen wir Gefahr, undokumentierte Menschen mit ungeregeltem Aufenthaltsstatus in der aktuellen Situation zu übergehen. Wenn der Umgang mit Covid-19 aber gelingen soll, brauchen alle Menschen ungehinderten Zugang zu Information und medizinischer Versorgung. Am Beispiel der USA wird uns schmerzlich vor Augen geführt, was passiert, wenn das Gesundheitssystem und seine Leistungen als Produkt gehandelt werden und der Zugang dazu ein Privileg ist.

Die Frage der medizinischen Versorgung aller Menschen kann man moralisch verschieden bewerten - medizinisch ist die Antwort eindeutig: Eine Pandemie lässt sich nur bekämpfen, wenn dabei alle Mitglieder einer Gesellschaft mitgedacht werden. Wird eine Minderheit vergessen, bedeutet das auch eine Gefahr für die Mehrheit. Für undokumentierte Menschen ist es ungleich schwieriger, sich an den allgemeinen Maßnahmen zu beteiligen.

Ein grundlegendes Problem ist, dass wer undokumentiert hier ist, in der Regel undokumentiert arbeitet. Viele dieser Menschen tun dies in vielzitierten "Systemerhalterjobs" - als Erntehelfer, in der Pflege, als Reinigungskräfte, in Lieferservices oder am Bau. Zu Regelungen wie Homeoffice oder Kurzarbeit haben sie selbstverständlich keinen Zugang, aber auch in Krankenstand gehen ist in diesen prekären Arbeitsverhältnissen gemeinhin nicht möglich. Das führt dazu, dass sie vor die unmögliche Wahl gestellt werden, bei Krankheitssymptomen - zugespitzt formuliert - entweder ihre Mitarbeiter anzustecken oder sich und ihre Familien hungern zu lassen.

Ein ungesicherter Aufenthaltsstatus kann durch die verschiedensten Situationen zustandekommen. Laut Schätzung von Diakonie und Rotem Kreuz aus dem Jahr 2018 betrifft das in Österreich rund 100.000 Menschen. Das ist eine Größenordnung, die für die Bekämpfung des Coronavirus alles andere als irrelevant ist.

Hürden für Menschen mit unsicherem Aufenthalt

Verschiedene Sorgen stehen diesen Menschen und einem verantwortungsvollen Handeln - nämlich dem Melden von Symptomen oder dem Fernbleiben von der Arbeit - im Weg. Existenzielle Sorgen etwa: Dabei geht es einerseits um finanzielle Befürchtungen um die Kosten einer Covid-Erkrankung, ob diese für Unversicherte übernommen werden. Andererseits macht die Angst, durch die Meldung eines Corona-Verdachts ins Visier der Fremdenpolizei zu kommen, es undokumentierten Menschen schwer und ist oft im wahrsten Sinne des Wortes lähmend. Für Menschen, die sich illegal in Österreich aufhalten, kann ein Aufscheinen im System dramatische Konsequenzen haben - bis hin zur Abschiebung, die mitunter einem Todesurteil gleichkommt.

Das Angebot der Regierung, die Polizei könne bei der Befragung von Corona-Verdachtsfällen helfen, gießt hier weiter Öl ins Feuer. Damit wird die Vorstellung hervorgerufen, wer Corona habe, werde aktenkundig - damit steigert die Regierung noch die Furcht, statt es undokumentierten Menschen zu erleichtern, Verantwortung für ihre und unser aller Gesundheit zu übernehmen.

Ob die Daten dann tatsächlich weitergegeben werden (nach geltendem Recht ist es nämlich nicht so, auch das möchte ich festhalten), spielt im Zustandekommen der Angst dieser Menschen eine untergeordnete Rolle. Viele haben noch dazu selbst oder über Bekannte die Erfahrung gemacht, dass es auch mit geltendem Recht beim Aufenthaltsrecht mitunter nicht so genau genommen wird.

Ein weiterer Punkt ist die Information. Ja, schon verstanden, die Regierung legt großen Wert auf Deutschsprachigkeit. Das ist aber kein Grund, zu ignorieren, dass diese nun einmal nicht omnipräsent ist und die Menschen in unserem Land alle möglichen Muttersprachen sprechen. Wenn die Regierung einerseits von umfassenden Informationskampagnen spricht, andererseits aber Migranten über den Österreichischen Integrationsfond lückenhafte Fakten erhalten, dann ist das ein Alarmsignal, das uns als Zivilgesellschaft hellhörig werden lassen muss. Ja, einige Einschnitte in unsere Rechte und Freiheiten sind angesichts der Situation legitim. Aber der Informationsfluss muss gewährleistet sein. Für alle, die hier sind. Denn alles andere ist gefährlich.

Vizekanzler Werner Kogler hat jüngst verlautbart, nicht "sehenden Auges Mini-Ischgls produzieren" zu wollen. Genau das kann aber leicht passieren, wenn wir nicht die Rahmenbedingungen herstellen, die es allen Menschen möglich machen, Verantwortung zu übernehmen.