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In der NATO wird der Ruf nach Scharping lauter

Von Paul Taylor

Politik

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In der NATO wird der Ruf nach Rudolf Scharping immer lauter. Trotz dessen Absage und der Erklärung des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, Scharping sei in Deutschland unabkömmlich, sehen

Politiker auf beiden Seiten des Atlantik in dem sozialdemokratischen Verteidigungsminister die Idealbesetzung für das Amt des NATO-Generalsekretärs. "Es gibt viel Unterstützung für Scharping", hieß

es in Kreisen der US-Regierung, "wenn er den Job will, bekommt er ihn." Die anderen Kandidaten seien nicht besonders aufregend.

Der Posten wird im Oktober frei, wenn Amtsinhaber Javier Solana zur Europäischen Union wechselt, um dort der Hohe Beauftragte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer zu werden.

Scharping sieht sein Aufgabenfeld jedoch eher in Deutschland, wo eine tiefgreifende Reform der Bundeswehr ansteht. Er wolle vor seinen Verpflichtungen nicht weglaufen, sagte Scharping Ende Juni,

"wenn es nicht zwingende Gründe dafür gibt", fügte er allerdings hinzu.

Doch gerade die von ihm in Angriff genommene Umstrukturierung der Bundeswehr und sein öffentliches Auftreten im Kosovo-Krieg haben die NATO-Politiker beeindruckt. Die Allianz brauche an ihrer Spitze

ein "politisches Schwergewicht und einen effektiven Kommunikator", hieß es in NATO-Kreisen. Beide Kriterien erfülle Scharping.

Wie lange das Werben der NATO in Deutschland ignoriert werden kann, ist noch unklar. Schröders Erklärung über die Unabkömmlichkeit Scharpings sei "zu hundert Prozent gültig", hieß es im

Verteidigungsministerium. Der Minister gehe definitiv nicht nach Brüssel. Ein Regierungssprecher sagte lediglich, er äußere sich nicht zu diesen Spekulationen. Sollte Scharping seine Meinung doch

ändern, möglicherweise auch angesichts des Spardrucks durch Finanzminister Hans Eichel, und Schröder ihn ziehen lassen, könnten die NATO-Außenminister sich bereits im September am Rande der UNO-

Vollversammlung auf ihn einigen.

Die anderen Kandidaten gelten in der Allianz eher als zweite Wahl. Der dänische Verteidigungsminister Hans Haekkerup und der polnische Außenminister Bronislaw Geremek haben schlechte Karten, weil

ihre Länder nicht Mitglied der Westeuropäischen Union (WEU) sind. Sie soll als Kern einer europäischen Sicherheitspolitik die Rolle der EU in der NATO stärken. Der Belgier Jean-Luc Dehaene erlitt

erst kürzlich eine Wahlniederlage und verlor sein Amt als Ministerpräsident. Auslöser war der Skandal um verseuchte Lebensmittel.

Den britischen Politikern Paddy Ashdown, Michael Portillo und Malcolm Rifkind werden ebenfalls keine großen Chancen eingeräumt: Dem Liberalen Ashdown fehlt die Erfahrung als Regierungsmitglied, die

Konservativen Portillo und Rifkind gelten nicht als Befürworter einer stärkeren europäischen Rolle in der Verteidigungspolitik. Außerdem gibt es in der NATO offenbar die Absicht, in der Person des

Generalsekretärs die gegenwärtig starke Rolle der Mitte-Links-Regierungen in Europa zu berücksichtigen.