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In der Not besondere Anstrengungen der Finnen

Von Wendelin Ettmayer

Politik

Die Finnen zeichnen sich auch dadurch aus, daß sie in Fällen der Not bereit sind, besondere Anstrengungen zu unternehmen. Nur so ist es ihnen gelungen, im Winterkrieg den russischen Angriff | abzuwehren.


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Schon nach dem Ersten Weltkrieg war Finnland das einzige Land der Welt, das den Vereinigten Staaten seine Schulden zurückzahlte. Das Darlehen in der Höhe von 3 Millionen Pfund wurde in Jahresraten

beglichen. In Anerkennung dieser Bemühungen verwendeten die Amerikaner das Geld, um damit einen Stipendienfonds für finnischen Studenten einzurichten.

Aber auch als die Russen nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kriegsentschädigung in der damals gewaltigen Höhe von 300 Millionen US-$ verlangten, setzten die Finnen alles daran, um die Forderungen zu

begleichen. Eine eigene Stahlindustrie wurde aufgebaut, wobei während des ersten Reparationsjahres die unbezahlten Exporte höher waren als die kommerziellen. Durch Herabsetzung ihres Lebensstandards

gelang es den Finnen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Erfüllung wurde von ihnen vom ersten Tag an als eine Sache der nationalen Ehre betrachtet.

Aber auch nach der gewaltigen Wirtschaftskrise zu Beginn der neunziger Jahre · das BIP ging damals um 13 Prozent zurück · zögerte man nicht, durch Einsparungen und Strukturreformen die Krise zu

überwinden. 1994 und 1995 konnte mit über 4 Prozent wieder ein Wirtschaftswachstum erreicht werden, das über dem europäischen Durchschnitt lag.

Allerdings wurde ein Sparprogramm durchgezogen, das noch für die Jahre 1996 bis 1999 Einsparungen in der Höhe von 21,6 Milliarden Fmk beinhaltet und die lokale Verwaltung, soziale Einrichtungen,

Familien, Bauern und Studenten genauso betrifft wie Förderungen für die Wirtschaft. Der Personalstand in vielen Bereichen der Verwaltung wurde um 10 Prozent gekürzt. Die Zahl der Bankangestellten

etwa wurde von 1990 bis 1997 von 50.100 auf 27.300 verringert. Eine Pensionsreform wurde dahingehend beschlossen, daß die Höhe der Pensionen künftig stärker vom Erwerbseinkommen abhängt. Der Anteil

der Grundversorgung · der Volkspension · wird bis zum Jahr 2030 kontinuierlich sinken. Die Beiträge werden von derzeit 21 Prozent der Gehaltssumme auf 27 Prozent angehoben. Am Beispiel Finnland kann

man sehr gut sehen, wie die Anwendung eines sozialen Systems bzw. die Bereitschaft dieses zu ändern, mit dem Charakter eines Volkes zusammenhängen.

Wettbewerbserfolge

Der Überschuß der finnischen Handelsbilanz betrug 1997 die gewaltige Summe von 43 Mrd. Fmk, also über 100 Mrd. Schilling. Für heuer wird ein Überschuß von 47 Milliarden Fmk erwartet. Die Exporte

erreichen 38 Prozent des BIP, 1990 waren es noch 23 Prozent.

Beeindruckend ist auch die Struktur der Exporte: Produkte der Hochtechnologie und Maschinen machen bereits mehr als 50 Prozent aus, Papier und Holz 30 Prozent. Mehr als 90 Prozent der gesamten

Papiererzeugung und der Hochtechnologie gehen auf den Weltmarkt.

Was sind die Ursachen für diese Erfolge? Eine Umfrage über das Meinungsklima in Finnland ergibt folgendes: Für 98 Prozent haben Erziehung und Qualität einen sehr hohen Stellenwert, 95 Prozent wollen

mehr Ausgaben für Forschung und Entwicklung und 75 Prozent sind sich der Bedeutung der Globalisierung bewußt.

Finnische Unternehmen haben viel getan, um sich international durchzusetzen: UPM-Kymmene, der größte Papierkonzern, produziert mit 6,7 Millionen Tonnen Papier und Karton jährlich fast das Doppelte

der gesamten österreichischen Produktion. Die aus einer Fusion hervorgegangen Merita-Bank ist mit 3 Millionen Privatkonten und 150.000 Firmenkonten eines der größten Institute des Nordens. Nach dem

neuerlichen Zusammenschluß mit der schwedischen "Nordbanken" sollte ein in Europa wettbewerbsfähiges Unternehmen geschaffen werden. Nokia mit einem Jahresumsatz von 39,3 Mrd. Fmk ist einer der

erfolgreichsten Elektronik-Konzerne der Welt und führend bei den GSM-Mobiltelefonen. Kone hat einen Jahresumsatz von 10,6 Mrd. Fmk und verkauft jährlich 200.000 Aufzüge.

Was Österreich betrifft, so hat der Ölkonzern Neste (43,3 Mrd. Fmk Jahresumsatz) die Krems-Chemie gekauft, Amer (5 Mrd. Fmk Umsatz), Atomic und CULTOR (8,3 Mrd. Fmk Umsatz) hat in Lenzing investiert.

Als das amerikanische Wirtschaftsblatt "Success" eine Liste der elf genialsten Unternehmer erstellte, befand sich darunter auch der Finne Seppo Säynäjäkangas aus Oulu. In knapp 20 Jahren hat er seine

Firma "Polar Electro" zu einem Betrieb entwickelt, der mit 800 Beschäftigten einen Umsatz von 750 Millionen Fmk macht. 95 Prozent der dort erzeugten Puls-Meß-Geräte werden exportiert.

Schlußfolgerung: Man kann sicherlich nicht sagen, daß sich Wohlfahrtsstaat und Leistungsprinzip ausschließen. Gerade im Wohlfahrtsstaat müssen jene Leistungen erbracht werden, die das umfassende

Sozialsystem tragen. In Finnland sieht man auch, daß die Entwicklung ansehnlicher Vermögen genauso möglich ist wie der Aufbau von Konzernen, die sich auch international durchsetzen können.

Aber sind vielleicht die Großen, die die Möglichkeit zur internationalen Transaktionen haben, bevorzugt? Ist es nicht vorstellbar, daß die selbe steuerliche Belastung ein Großer noch ertragen kann,

ein Kleiner aber nicht mehr?

Ziemlich betroffen von den steuerlichen Belastungen sind jedenfalls die mittleren Einkommen, wohl auch die mittelständische Wirtschaft. Der Rückgang der kleinen Betriebe läßt die Frage zu, ob nicht,

selbst bei einem gegebenen Leistungswillen, bestimmte Tätigkeiten ab einer hohen steuerlichen Belastung nicht mehr ausgeübt werden. Viele kleine Geschäfte und Betriebe, die in Österreich einen

wesentlichen Teil des Arbeitsmarktes und der Lebensqualität ausmachen, gibt es in Finnland nicht mehr.

Es ist also letztlich eine gesellschaftspolitische Entscheidung, wie und wo jene Leistungen eingesetzt werden sollen, die man erbringen will und die den Wohlfahrtsstaat tragen.



Ende der Serie



Wendelin Ettmayer ist österreichischer Botschafter in Finnland.