)
Parteipolitik alter Schule stößt auf immer mehr Befremden, doch gerade deshalb blüht sie kräftig wie früher.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Als am Abend des 9. Oktober alle Kandidaten der Bundespräsidentschaftswahl zum Interview-Staffellauf im Palais Niederösterreich erschienen, sah es nach der hektischen Normalität eines geschlagenen Wahlkampfes aus. Kurze Analysen, Statements für die Presse, dazwischen ein kurzer Austausch unter Kandidaten, Fotos mit Unterstützern und Gratulationen. Vor allem aber: Alles blieb beim Alten. Aber das ist nur die oberflächliche Betrachtung.
Der Abend war nur das finale Fragment eines Wahlkampfs, der alles andere als normal war. Der Amtsinhaber war einst Parteichef einer kleinen, früher wilden Partei, diesmal aber der Vertreter des Establishments. Die Herausforderer: zwei Kolumnisten von Boulevardzeitungen, der eine mimte den rechten Kasper, der andere verkündete den nahen Weltuntergang; ein langjähriger FPÖ-Abgeordneter, der sich als Speerspitze gegen das System gerierte; ein Anwalt, der Österreich in einer Art Diktatur verortete; sowie ein altlinker Schuhfabrikant und ein progressiver Bier- und Musikproduzent.
Gemein war ihnen eine ausgeprägte So-geht’s-nicht-weiter-Haltung, in unterschiedlichen Nuancierungen, sowie massive Kritik an der Bundesregierung. Zwei Kandidaten wollten die Regierung als erste Amtshandlung gleich entlassen, die anderen sich jedenfalls viel stärker ins politische Tagesgeschehen einmischen. Auch das ist eine Anormalität in einem Land, in dem einst die eiserne Miene eines Präsidenten bei einer Angelobung als Grenzüberschreitung verstanden wurde.
Es spricht jedoch einiges dafür, dass diese Wahl keine solche Anormalität bleibt, sondern vielmehr Vorbote für einen fundamentalen Wandel des politischen Österreichs war: dem Ende des Parteienstaats alter Prägung. Zumal ja schon die Wahl 2016 eine Besonderheit war und die Kandidaten der damaligen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP übel abgestraft wurden.
Aus heutiger Sicht ist es nicht wahrscheinlich, dass es hierzulande zu einem solch plötzlichen Crash kommt wie in den 1990er-Jahren in Italien oder 2016 in Frankreich. Auch, weil die politischen Systeme dort andere sind. Doch die Art und Weise, wie vor allem die einstigen Großparteien SPÖ und ÖVP auf das wachsende Befremden der Gesellschaft gegenüber allzu parteipolitischer Gebarung reagieren, nämlich mit einem Mehr an Parteipolitik, könnte dieser Entwicklung eine Dynamik verleihen.
Erodiertes Vertrauen
Über weite Strecken der Zweiten Republik war die politische Aufteilung des Landes mit all seinen Facetten von einer großen Mehrheit akzeptiert. Sie bediente das Bedürfnis nach Stabilität und sorgte für wachsenden Wohlstand, dessen Verteilung, wohl auch dank der institutionellen Kompromissmaschine der Sozialpartnerschaft, als einigermaßen gerecht empfunden wurde. Das Demokratiedefizit eines schwach ausgeprägten öffentlichen Diskurses wurde in Kauf genommen.
Darauf deuten auch Langzeitdaten hin, die von den Meinungsforschern Peter Hajek und Peter Ulram unlängst präsentiert wurden. Auch in den 1970ern fühlte sich nur ein recht kleiner Teil der Bevölkerung von den Politikern gehört, aber im Unterschied zu heute vertrauten die Menschen "denen da oben", also auch den Parteien, dass sie in ihrem Sinn die richtigen Entscheidungen treffen. Dieses Vertrauen ist erodiert.
In der zweiten langen Phase der großen Koalition geriet die Parteipolitik, geprägt durch die Systemkritik der aufkommenden FPÖ unter Jörg Haider, in Erklärungsnot. Doch die Mehrheit von SPÖ und ÖVP hielt, auch wenn beide Parteien sukzessive Wählerinnen und Wähler verloren. Aus dem Drei-Parteien-Parlament wurde eines mit fünf Parteien, der politische Wettbewerb wurde schärfer, das Koalieren schwieriger. Eine spezifische Auswirkung dieser Fragmentierung ist bisher wenig beachtet worden: Denn auch innerhalb der Parteien nahm die Konkurrenz um Repräsentation und Macht zu.
Die Parteien wollen, aber können nicht
Das dürfte auch einer der Gründe sein, weshalb es bisher weder der SPÖ noch der ÖVP nachhaltig gelungen ist, sich zu erneuern und sich von der anachronistischen Form der Parteipolitik zu verabschieden. Es blieb bei Versuchen, Ankündigungen, der einen oder anderen Perspektivengruppe und Quereinsteigern.
Als prototypisches Beispiel dafür lässt sich die am Ende nicht sehr lange politischen Laufbahn der ehemaligen Superintendentin Gertraud Knoll in der SPÖ erwähnen. Als Regierungsmitglied in spe 2002 mit Getöse präsentiert, wusste die Partei nach der Wahl (und der Fortsetzung von Schwarz-Blau) über Monate nicht, welche Rolle Knoll nun einnehmen sollte. Sie übernahm dann die Zukunftswerkstätte, zog drei Jahre später in den Bundesrat ein und rückte 2007 in den Nationalrat nach. Das Mandat verlor sie nach der Wahl 2008, da sie nur an zehnter Stelle auf die Bundesliste gesetzt worden war und die SPÖ insgesamt elf Abgeordnete verlor. Die Zukunftswerkstätte schloss im selben Jahr.
Die eine oder andere Kandidatur prominenter Personen mag von Haus aus nur als Inszenierung einer Öffnung gedacht gewesen sein, doch es ist glaubhaft, dass in den einst großen Parteien sehr wohl die Erkenntnis gereift ist, dass eine aufgeklärte Gesellschaft heute nach anderen Formen der Beteiligung, Information und generell Politik verlangt. Die Parteien wissen das. Sie können aber offenbar nicht anders.
In jüngerer Vergangenheit haben beide ehemaligen Großparteien die Erfahrung gemacht, dass bei zugkräftigen Persönlichkeiten an der Spitze eine Öffnung nicht nur eine Fantasie sein muss. Im Fall der SPÖ unter Christian Kern hat sich das in Umfragen und ein paar tausend neuen Mitgliedern offenbart, für die ÖVP unter Sebastian Kurz sogar in zwei Wahlergebnissen materialisiert. Die Daten von Hajek/Ulram zeigen ebenfalls, dass ab Juli 2016, als Kern Werner Faymann als Kanzler ablöste, die chronisch gewordene Unzufriedenheit mit der Regierung abnimmt und dann noch einmal sinkt, als Kurz im Jahr darauf übernahm.
Doch es ist eine ambivalente Erfahrung, da sie mit Personen, nicht Parteien verknüpft war. Es zeigte SPÖ und ÖVP, was möglich ist. Die nüchterne Analyse muss aber auch eine Nahtoterfahrung gewesen sein. Denn was, wenn eine solch zugkräftige Person mit eigener Liste antritt? Als 2019 eine Spendenobergrenze für neue Parteien von 1,5 Millionen Euro eingeführt wurde (für bestehende 750.000 Euro), mag diese Gefahr nicht das primäre Motiv gewesen sein, möglicherweise aber eine erwünschte Nebenwirkung.
Postenvergaben als Provokation
Bisher hat sich die Frustration der Wählerinnen und Wähler nur bei Bundespräsidentenwahlen richtig Bahn gebrochen. Es gibt aber keine Garantie, dass dies zukünftig so bleibt. Zumindest auf Bundesebene sollte man dies nicht unterschätzen. Zumal der schleichende Niedergang, vermengt mit der Angst vor Machtverlust (der für die SPÖ zur Realität wurde), die Parteipolitik alter Prägung zu neuer Blüte brachte.
In den Ministerien haben die Kabinette die Führung übernommen. Insider berichten, dass speziell seit 2006 zusehends durchregiert wird und Sektionen fachfremd umbesetzt werden - mit übrigens verheerenden Folgen für die Verwaltung des Landes. Bei Vergaben von Dienstleistungen und Posten in Ministerien, staatlichen Institutionen und Unternehmen profitieren so auffällig oft Personen aus dem Umfeld der Machthaber, dass das kein Zufall sein kann. Es wirkt fast wie eine gezielte Provokation. Im Fall der ÖVP ist einiges in Chats dokumentiert worden, dazu wurden die Postenschacher-Verträge zweier Regierungen öffentlich. Doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt.
Es scheint zudem so, als würde der Kreis der Loyalität immer enger gezogen werden. Die Machtzirkel werden kleiner. Als Teil einer Regierung lässt sich damit besser leben, man hat auch mehr zu verteilen. Es könnte auch ein Grund sein, weshalb sich die ÖVP doch spektakulär von ihrem Null-Defizit-Dogma verabschiedet hat.
Die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien scheint umso mehr zum einigenden Band zu werden. Es ist auch eine Ursache dafür, dass sich der politische Diskurs fast nur mehr entlang eines erhofften kurzfristigen parteipolitischen Nutzens bewegt. Das kann groteske Züge annehmen, wenn etwa Landespolitiker in heller Aufregung über die Positionen anderer Parteien sind, die sie im Bund aber selbst vertreten. Oder wenn Vorwürfen nur mehr damit begegnet wird, dass andere Parteien mindestens genauso agieren oder früher auch nichts weiter gebracht haben.
Überhaupt zeihen sich mittlerweile alle Parteien ständig der Scheinheiligkeit, sekkieren sich gegenseitig und wiederholend mit Anträgen, sodass am Ende übrig bleibt, dass eh alle Heuchler und unfähig sind. Das mag oft lächerlich wirken, trägt aber mitunter heikle Züge, wenn Medienhäusern, Journalistinnen und Journalisten ad personam und Justizorganen parteipolitisches Agieren vorgeworfen wird. Es ist ein demokratiepolitisches Spiel mit dem Feuer, das künftig vielleicht nicht mehr nur bei Bundespräsidentschaftswahlen lodern wird.