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In der Pipeline

Von Reinhard Göweil aus Brüssel

Politik

Putins Unberechenbarkeit belebt Nabucco-Gaspipeline unter neuem Namen.


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Brüssel. "Die Idee ist wieder auf dem Tisch", ist aus dem Umfeld des Vizepräsidenten der EU-Kommission, Maros Sefcovic, auf die Frage zu hören, ob die EU daran denke, das sogenannte Nabucco-Gaspipeline-Projekt wieder zu aktivieren. Auch der Europa-Abgeordnete Paul Rübig, der im Industrie- und Energieausschuss tätig ist, sagte der "Wiener Zeitung", dass "Nabucco nun wohl wiederbelebt wird".

Bei dem Projekt geht es um eine Gas-Pipeline von der türkisch-bulgarischen Grenze bis zum "Erdgas-Hub" Baumgarten, das sind etwa 1330 Kilometer. Es sollte Erdgas aus Zentralasien nach Westeuropa pumpen - unter Umgehung Russlands. Das Projekt war von der OMV von 2006 bis 2013 geführt worden und scheiterte schließlich auch am wütenden Widerstand Russlands.

Gazprom ging das Geld aus

Nun allerdings hat Präsident Wladimir Putin jüngst die von Russland geplante Gaspipeline South Stream abgesagt, für alle Beteiligten eine große Überraschung. Allem Anschein nach geht Russland durch die Finanz-Sanktionen langsam das Geld aus. Gasprom könne sich die Pipeline einfach nicht mehr leisten, meinen Energieexperten in Brüssel.

Nun sucht die EU nach Ersatz und einer Möglichkeit, die Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren. Nabucco neu käme da gerufen, denn mittlerweile taucht ein neuer Gaslieferant der Region am politischen Horizont auf: der Iran. Wenn die Gespräche um eine Normalisierung der Beziehungen und das Atomprogramm Erfolg haben, würde das Energie-Embargo gegen den Iran wohl aufgehoben. Die Erdgasvorkommen in Aserbaidschan, die ursprünglich genutzt hätten werden sollen, liegen unmittelbar neben iranischen Gasfeldern.

Also hat ein geopolitisches Ringen eingesetzt - im Mittelpunkt steht die Türkei. Präsident Putin war kürzlich bei seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, um Energiefragen zu besprechen. Und kommende Woche fahren die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungs-Kommissar Johannes Hahn in die Türkei. "Energie wird sicherlich eines der Themen sein", sagte Hahn in Brüssel.

Denn in der EU steigt die Skepsis über Putins Politik. In einer "Rede an die Nation" griff er tief in die nationalistische Kiste und verwies auf die Stärke der Armee. "Diese Rede hat meine Zuversicht, Russland betreffend, nicht verbessert", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans in Brüssel zu österreichischen Journalisten. "Eine Annexion wie jene der Krim kann die EU nicht akzeptieren, das gab es nicht einmal in der Zeit des Kalten Krieges", so die Nummer zwei der Kommission nach Juncker. "Wir haben die Erfahrung gemacht in Europa, dass es Frieden gibt, wenn nicht an den Grenzen herumgefummelt wird. Dieser Zustand muss wieder erreicht werden."

Timmermans sagte auch, dass die Außenbeauftragte Mogherini an einer neuen Russland-Politik arbeite. "Wir müssen uns fragen, wie der langfristige Umgang mit Russland zu organisieren ist. Wichtig ist jedenfalls, dass die EU Einigkeit zeigt. Putin wartet nur darauf, dass einzelne Länder ausscheren. Das dürfen wir ihm nicht gönnen."

Allein die Überlegung, eine Gas-Pipeline an Russland vorbei in die EU zu bauen, wird wohl Wirkung zeigen an den Märkten, sind Experten der EU-Kommission überzeugt.

In der kommenden Woche besuchen die Energieminister jener Länder, die am gescheiterten South-Stream-Projekt beteiligt waren, Energie-Kommissar Sefcovic in Brüssel. Vor allem Serbien ist verstört, es wird einerseits heftig von Putin umworben, verliert aber nun die erwarteten Gaslieferungen von South Stream.

Die Kosten der Pipeline wurden zuletzt ständig nach oben geschraubt. Ursprünglich war von 24 Milliarden Euro die Rede, zuletzt bereits von mehr als 40 Milliarden. Angesichts der schwachen Gaspreise, die dem Ölpreis folgen, verschlechterte sich die Rechnung für Gasprom.

Kosten der neuen Pipeline

Nabucco, beziehungsweise der neue Name für die Gasleitung, soll zwischen 12 und 15 Milliarden Euro kosten. Daneben werden noch Projekte geprüft, sogenannte Flüssiggas-Terminals zu errichten, um norwegisches Gas besser einsetzen zu können.

Alle Projekte sind aber langfristig, vor dem Jahr 2020 wäre an eine Fertigstellung nicht zu denken.

Allerdings läuft auch Putin die Zeit davon. In Brüssel kursieren derzeit Studien, wonach - unter Annahme der Beibehaltung der Sanktionen - Russland in circa einem Jahr der wirtschaftliche Kollaps droht. Angesichts des niedrigen Ölpreises werden die Budgeteinnahmen daraus statt 100 bestenfalls umgerechnet 70 Milliarden Euro ausmachen. "Putin wird Sozialleistungen massiv kürzen müssen. Es ist abzuwarten, ob ihm die Bevölkerung dann auch noch Glauben schenkt, der böse Westen sei allem schuld", ist aus Kommissionskreisen in Brüssel zu hören.

Zudem soll es in der inneren Führung des Kreml zu immer stärkeren Spannungen kommen, berichten Moskau-Besucher. Russlands Regierungschefs Medwedew soll mit dem Kurs Putins zunehmend unglücklich sein, und auch die reichen Unternehmen beginnen zu murren - sie verlieren derzeit Milliarden.

"Immerhin hält in der Ostukraine die Waffenruhe den dritten Tag", findet Johannes Hahn einen kleinen positiven Aspekt.