Das Flüchtlingsleben im Österreich des 21. Jahrhunderts ist ein Leben unter schwierigen Bedingungen, wie ein Lokalaugenschein im Haus Neu Albern im 11. Wiener Bezirk zeigt. Trotzdem will kaum ein Betroffener sein Leben in Österreich gegen eine Rückkehr in seine einstige Heimat eintauschen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Neu Albern, ein ehemaliges Obdachlosenheim am Stadtrand von Wien. Hier sind 150 Flüchtlinge aus zahlreichen Ländern untergebracht, deren rechtlicher Status je nach Stand ihres Asylverfahrens unterschiedlich ist. Ausschließlich Männer leben hier. Sie kommen aus Afghanistan, Tschetschenien, Bangladesch, Irak, Iran und etwa 50 von ihnen aus den verschiedensten Staaten Afrikas.
Die Baracken ähnlichen Häuser sind in vier Trakte eingeteilt. Die Männer wohnen jeweils zu dritt in einem kleinen Raum. Jeder Trakt verfügt über eine Küche, Klos, Duschen und eine Waschmaschine. Alles wirkt ziemlich abgewohnt, schäbig und alt. Betreuer Delary Majid erklärt, dass die Gebäude Hals über Kopf für die Flüchtlingsunterbringung umgewidmet und der Diakonie zur Verfügung gestellt wurden. Innerhalb einer Woche mussten sie bezogen werden. Gerade genug Zeit, um die allergröbsten Mängel beheben zu können. Wirklich renoviert werden soll jetzt im Sommer.
Herr Fall aus dem Senegal, der seit Mai 2003 im Neu Alberner Lager lebt, spricht sehr gut deutsch. Sein Asylverfahren läuft und er hat gute Chancen, einen positiven Bescheid zu bekommen. Er nimmt an Weiterbildungsmaßnahmen teil und hat die Eintönigkeit seiner entlegenen Unterkunft vorübergehend auch schon mit - für Asylwerber extrem schwer zu bekommender - Arbeit bekämpft. Solange Fall in der Bundesbetreuung ist und sein Verfahren läuft, bekommt er 40 Euro Taschengeld im Monat und eine tägliche Ration frischer Lebensmittel (Brot, Milch und Fleisch). Einmal pro Woche erhält er zusätzlich ein Nahrungsmittelpaket, mit dessen Inhalt er sich selbst Speisen zubereiten kann.
Von der Zuteilung unbekannter Lebensmittel
Was gut klingt wird für manche Lagerbewohner zum Problem. Sie leiden darunter, dass sie die ihnen zugeteilten Lebensmittel nicht kennen, und daher keine Erfahrung mit deren Zubereitung haben. Trotz ständiger Bemühungen, die Lebensmittelliste um Spezialitäten aus den Herkunftsländern der Asylwerber zu erweitern, haben viele keine Mahlzeit, die ihren Ernährungsgewohnheiten entspricht und ihnen ein Gefühl von Heimat vermitteln kann. Da sich kulturelle Identität zu einem guten Teil auch über das Essen definiert, bereitet die Notwendigkeit unbekannte Dinge essen zu müssen den so wie so durch ihre Flucht verunsicherten Betroffenen zusätzlich Stress. Die Möglichkeit, sich vertraute Speisen zubereiten zu können, hätte eine psychologisch stärkende Wirkung, die weit über die bloße Zufuhr von Nährstoffen hinausgeht, versichert ein Hausbewohner.
Integration steht und fällt mit der Bundesbetreuung
So lange Asylwerber wie Fall im Rahmen der Bundesbetreuung das Lager bewohnen, sind sie bei der Wiener Gebietskrankenkasse krankenversichert. Ein Hausarzt besucht die Unterkunft in Neu Albern einmal in der Woche. Wird einem Klienten die Bundesbetreuung entzogen - etwa im Fall eines abschlägigen Asylbescheids - ist er nicht mehr versichert, bekommt weder Geld noch Essen und steht völlig mittellos auf der Straße. Die Diakonie versucht dann zwar, denjenigen in ihrem Notquartier in der Grimmgasse unterzubringen oder eine Unterkunft bei der Caritas zu bekommen, um ihm ein Leben auf der Straße zu ersparen. Mit Integrationsmaßnahmen ist dann jedoch Schluss. Er darf nicht mehr arbeiten und keinen Deutschkurs mehr besuchen.
Aber auch für den bundesbetreuten Senegalesen Fall war der Besuch des einzigen Gratis-Deutschkurses an der Universität Wien mit erheblichem logistischen Aufwand verbunden. Alle 20 Minuten nur fährt ein Bus der Linie 76A von der Peripherie des 11. Bezirks zur Simmeringer Endstation der U3, welche dann ins Zentrum führt.
Fahrscheine kaufen mit 40 Euro Monatsbudget?
Damit betritt der Lernwillige allerdings das nächste Problemfeld. Es gibt für Asylwerber keine Möglichkeit, gratis oder ermäßigt die Wiener Linien zu benutzen. Mit den 40 Euro Monatsbudget ist eine Netzkarte für diesen Zeitraum, die 45 Euro kostet, nicht leistbar. Zwei Einzelfahrkarten für Hin- und Rückweg à 1,50 Euro entsprechen mehr als einem Dreizehntel des monatlichen Taschengelds. Nun ist die Busstation beim Lager aber die einzige Möglichkeit, der Isolation am Stadtrand und damit dem Leben in der Warteschleife zu entkommen. Die einzige Konzession der Wiener Linien bisher ist die Möglichkeit einer Ratenzahlung der Schwarzfahr-Bußen. Die unglücklichen Betroffenen müssen dann die Hälfte ihrer 40 Euro jeden Monat an die Verkehrsbetriebe zahlen. So treibt der unbedingt nötige Außenweltkontakt - sei es für einen Deutschkurs, die Jobsuche oder die verständliche Sehnsucht nach einem vorübergehenden Tapetenwechsel - die Lagerbewohner in kaum mehr abbaubare Schuldverhältnisse und eine zusätzliche Verschlechterung ihrer ohnehin erbärmlichen Bargeldsituation.
Fall, der im Senegal Geschichte und Geographie unterrichtet hatte, war einer der wenigen die vorübergehend einen Job ausüben und sich die Fahrscheine daher leisten konnten. Doch der kurze Traum zerbrach an einer Kombination aus schlechter Verkehrsanbindung und einem unflexiblen Dienstgeber. Nach über 30 Anläufen hatte er eine geringfügige Beschäftigung bei der MA 48 erhalten: Straßenreinigung im 8. Wiener Bezirk, Dienstbeginn 6.30 Uhr. Da der erste Bus aus Neu Albern um 5:31 wegfährt, und es nur im absoluten Optimalfall zu dieser Zeit öffentlich möglich ist, innerhalb einer Stunde den 8. Bezirk zu erreichen, konnte er nicht immer pünktlich seinen Dienst beginnen. Seinem Flehen, daher erst um 7.00 Uhr beginnen zu müssen, und dafür bis 15.30 statt bis 15.00 Uhr arbeiten zu dürfen, erteilte der Magistrat eine glatte Absage. Welche zentrale Relevanz das Privileg eines Jobs für Asylwerber Fall hatte, interessierte nicht.
Asylwerber sind multiplen Belastungen ausgesetzt
Die Kumulation von der de facto kaum vermeidbaren Untätigkeit, der Mittellosigkeit in einer Stadt der vollen Schaufenster, der Isolation im Lager am Stadtrand, des Desinteresses oder gar der Ablehnung von Teilen der Wiener Bevölkerung und der ungewissen Zukunftsperspektive, die von einem für die Betroffenen kaum durchschaubaren Asylverfahren abhängt, lastet schwer auf der Psyche der Lagerbewohner. Anzeichen eines nahenden psychischen Zusammenbruchs der oft schon von der Verfolgung und Gewalt in ihrer Heimat traumatisierten Asylwerber werden so von den engagierten, aber zu wenigen, Betreuern nicht immer erkannt, so dass manche nur mehr mit massiver psychiatrischer Hilfe aus ihrer Sackgasse der Verzweiflung geholfen werden kann.
Trotz aller Schwierigkeiten wollen fast alle Lagerbewohner eher bleiben, als ihn ihre Heimatländer zurückkehren. Letztes Jahr nahmen lediglich vier Personen das Ausreisetaschengeld von 400 Euro und das von der Caritas finanzierte Flugticket zurück - in den Iran und den Irak - in Anspruch. Selbst ein Afghane, der seit dreieinhalb Jahren in Neu Albern wohnt und nun mit der endgültigen Ablehnung seines durch alle Instanzen gegangenen Asylantrags konfrontiert ist, und daher durch den Wegfall der Bundesbetreuung vor dem Nichts steht, will nicht zurück. In Österreich erscheint ihm sein (Über-)Leben leichter möglich, als in seiner zerrütteten Heimat am Hindukusch.
Eva Kumar war für Radio Afrika im Asylwerberquartier Neu Albern der Diakonie Österreich.