Eine Normalisierung der Beziehungen mit der Türkei hätte für Armenien auch ökonomische Bedeutung.
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Brüssel/Eriwan. Vom Flughafen in Eriwan aus ist der Berg genau zu sehen. Vom ersten Stock des Museums, in dem jahrhundertealte armenische Handschriften ausgestellt sind, bei wolkenfreiem Himmel auch. Überhaupt ist er an vielen Stellen in Armenien präsent, der mythenumrankte Berg Ararat: Sein Abbild ist in Firmenlogos verwendet und in den Stempeln, die Zöllner Besuchern in den Pass drucken; mit seinem Namen werden Markenprodukte bezeichnet. Doch er steht in einem anderen Land, jenseits der Grenze, die seit Jahrzehnten geschlossen ist. Der Berg Ararat und weite Gebiete rundherum befinden sich in der benachbarten Türkei. In manchen Dörfern und Städten, aus denen die Armenier vor hundert Jahren vertrieben wurden, sind bis heute die Spuren der Christen geblieben: Ruinen von Kirchen, Schulen und Häuser, die längst andere Bewohner haben.
Dass die offizielle Türkei die Ereignisse von 1915 und danach nicht als Völkermord bezeichnen möchte, hat daher nicht nur historische Gründe, sondern auch wirtschaftliche. Schnell könnte sie nämlich bei einer Anerkennung als Genozid mit Reparationsforderungen konfrontiert sein. Die Ansprüche der armenischen Diaspora für verloren gegangene Gebiete und Immobilien könnten riesige Summen erreichen.
Das hatte das EU-Parlament aber vordergründig nicht im Sinn, als es in Brüssel über eine Entschließung abstimmte, die Ankara dazu aufrief, den Völkermord im Osmanischen Reich als solchen anzuerkennen. Vielmehr plädierte es für eine "wirkliche Aussöhnung" zwischen den Nationen. Die Nachbarn sollen sich Beispiele für erfolgreiche Versöhnungen "europäischer Nationen zum Vorbild nehmen" und "eine Agenda in den Mittelpunkt rücken, bei der die Zusammenarbeit der Völker an erster Stelle steht". Eine ähnliche Forderung hatte das EU-Abgeordnetenhaus schon vor fast dreißig Jahren aufgestellt - damals wie heute von der türkischen Regierung zurückgewiesen.
Mit den Verhandlungen um einen EU-Beitritt der Türkei will die Union das Thema allerdings nicht verknüpfen. Jedoch wies die Volksvertretung diesmal auf etwas hin, was ebenfalls über die historische Bedeutung hinausgeht. Die zwei Länder sollten ihre gemeinsame Grenze wieder öffnen und so die wirtschaftliche Integration verbessern. Die Türkei hält Armenien seit gut zwei Jahrzehnten isoliert, aus Solidarität mit dem befreundeten Aserbaidschan, das wiederum mit Eriwan in einen Konflikt um die Region Berg Karabach geraten ist. Das Gebiet beanspruchen beide kaukasischen Republiken für sich.
Damit fallen aber für Armenien gleich zwei potenzielle Handelspartner weg. Das Land bleibt so wirtschaftlich stark von Russland abhängig, das nicht nur ein wichtiger Investor ist, sondern auch zahlreichen armenischen Gastarbeitern Jobs gibt. Von der Unterzeichnung eines Handelsabkommens mit der EU hat Eriwan zunächst einmal abgesehen, stattdessen hat es sich für die Mitgliedschaft in der eurasischen Wirtschaftsunion entschieden. Trotzdem wollen auch die Europäer finanzielle Hilfe leisten: Bis zu 170 Millionen Euro lassen sie bis 2017 in die wirtschaftliche Entwicklung des Landes fließen.