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Der Menschenhandel ist ein lukratives Geschäft. Und er nimmt weiter zu. Die Umsätze daraus können höher sein als beim Drogen- oder Waffenhandel - vielleicht 10 oder 12 Mrd. Dollar jährlich. Schätzungsweise 120.000 Frauen und Kinder werden pro Jahr aus Ost- und Südosteuropa in die EU-Staaten verkauft. Sie werden zu Sexarbeit gezwungen, in Haushalten ausgebeutet oder zum Betteln auf die Straße geschickt.
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Die Karte ist nur mit Initialen unterschrieben. M.I.A. bedankt sich bei der "Animus Association" Foundation (AAF) für die Hilfe, wünscht der Einrichtung ein langjähriges Bestehen. Die Frau ist eine von hunderten, der die bulgarische NGO, die sich an Opfer von Gewalt und Menschenhandel richtet, betreut hat. Anonym wie die Schreiberin sind die meisten Opfer, viele von ihnen werden gar nicht als solche identifiziert. Doch Maria Petrova von AAF weiß: "Der Menschenhandel ist ein zunehmendes Problem, und das Alter der betroffenen Frauen und Mädchen sinkt stetig."
In Telefongesprächen, im Krisenzentrum und bei Therapien versucht AAF, den Opfern zu helfen. Im Jahr 2003 gab es 2.584 KundInnenkontakte, 243 Menschen waren von Menschenhandel betroffen. Bulgarien sei in erster Linie ein Herkunftsland, erklärt Petrova. Die Frauen und Mädchen werden von dort in die alten und neuen EU-Staaten gebracht. Dort geraten sie in den Kreis von Verschuldung, finanzieller Abhängigkeit und Illegalität. Nicht nur ihnen sondern auch ihren Familien wird Gewalt angedroht.
Nach Schätzungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden 120.000 Frauen und Kinder jährlich aus Ost- und Südosteuropa verkauft. Der Großteil von ihnen kommt aus Albanien, Moldawien, Rumänien und Bulgarien. Bei wenigen wird von Beginn an Gewalt angewendet. Die meisten gehen freiwillig weg, sehen sich durch die wirtschaftliche Lage und Hoffnungslosigkeit in ihrem Land dazu gezwungen. Sie schenken falschen Versprechen von Anwerbern oder Bekannten Glauben. Manche sind davon überzeugt, dass ihnen "so etwas" nicht passieren kann.
So etwas, wie es bei Anna der Fall war. Als sie nach Österreich kam, glaubte sie als Tänzerin arbeiten zu können - wie es ihr versichert wurde. Für die Reise hat sie einen Kredit aufgenommen. In Österreich wurden ihr die Dokumente abgenommen, sie wurde in ein Bordell gesteckt. Sie wurde geschlagen, vergewaltigt und gefügig gemacht. Bei einer Polizeirazzia wurde sie festgehalten. Dann kam sie zu LEFÖ.
Der 1985 gegründete Verein LEFÖ Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen hat einen Schwerpunkt auf die Unterstützung für Migrantinnen - unter anderem aus Osteuropa - gelegt, die Betroffene von Frauenhandel sind. Die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (IBF) bietet rechtliche und psychologische Beratung, Information oder die Möglichkeit der Unterbringung in einer Notwohnung. Im Vorjahr wurden 204 Frauen betreut; die Zahl der von Menschenhandel betroffenen Opfer stieg. "Doch das sagt nichts über das Ausmaß des Problems aus, es ist nur die Spitze", erläutert Bernadette Karner von LEFÖ. "In letzter Zeit können wir jedenfalls mehr Frauen erreichen, weil die Zusammenarbeit mit der Polizei besser geworden ist." Laut Bundeskriminalamt gab es im Vorjahr 169 Anzeigen wegen "grenzüberschreitendem Prostitutionshandel"; im Jahr 2002 waren es 70 Fälle. Doch zu Verurteilungen von Händlern kommt es weit seltener.
Sklaverei im Haushalt
Es ist nicht nur der Bereich der Sexarbeit, wo Frauen ausgebeutet werden. Karner illustriert das am Beispiel einer Frau aus einem südostasiatischen Land. In ihrer Heimat lernte sie einen Österreicher kennen. Er erzählte von einem Freund, der eine Haushaltshilfe suche. Es sei alles legal, der Verdienst gut, versicherte der Mann. Sie reiste nach Österreich. Dort wurde ihr der Pass abgenommen und sie im Haus eingesperrt. Nur am Sonntag durfte sie hinaus, in die Kirche. Jeden Tag musste sie 16 Stunden lang harte Arbeit verrichten. Als sie schwer krank wurde, hat ihr "Arbeitgeber" lange gezögert, bevor er sie ins Spital brachte. Dort wurde ein Priester auf sie aufmerksam, der LEFÖ kontaktierte.
So international der Menschenhandel ist, so vernetzt muss der Kampf dagegen sein. Mit Unterstützung der OSZE haben die meisten ost- und südosteuropäischen Länder Gesetze gegen Menschenhandel und nationale Aktionspläne ausgearbeitet. Doch restriktive Einwanderungspolitik in den Zielländern ist ein guter Nährboden für den Menschenhandel: je eingeschränkter die Chancen legaler Arbeitsmigration, umso größer die Möglichkeiten Krimineller.
Kampf gegen Migration?
"Die meisten Zielländer behaupten, dass sie Menschenhandel bekämpfen wollen. In Wahrheit möchten sie aber illegale Migration bekämpfen", sagt Helga Konrad, OSZE-Sonderbeauftragte zur Bekämpfung von Menschenhandel. Die automatische Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Opfer scheitere an der Befürchtung, dass dies auch andere MigrantInnen ausnutzen könnten.
Dabei sollte anerkannt werden, dass von Menschenhandel Betroffene Opfer und zu schützen seien, fordert Konrad. Möglich wäre das mit der Gewährung einer Stabilisierungszeit von bis zu drei Monaten, in der die Frau überlegen kann, wie sie weiter vorgeht. Danach wäre eine Aufenthaltserlaubnis wünschenswert; im Idealfall auch eine Arbeitsbewilligung. Doch von diesem Idealzustand sei die Gesetzgebung in den EU-Staaten weit entfernt.
LEFÖ - IBF Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels: 01/796 92 98