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In die Sterne schauen - der neue ESA-Chef im Interview

Von Eva Stanzl

Wissen

Neue kosmische Perspektiven: Josef Aschbacher, designierter Generaldirektor der europäischen Raumfahrtbehörde ESA, über die Pläne für 2021.


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"Wiener Zeitung": Das Corona-Jahr 2020 war für die meisten Menschen von Disziplin und komplexen Regelungen geprägt. Für heuer sehnt sich wohl jeder nach Entspannung und neuen Perspektiven. Was steht in den Sternen?Josef Aschbacher: Wenn Sie die Projekte in der ESA-Raumfahrt meinen, beginnen 2021 einige Highlights. Mindestens zwei europäische Astronauten starten zur Internationalen Raumstation ISS. Es steht der Jungfernflug von "Vega C" an, eine italienische Trägerrakete für mittlere bis kleine Satelliten, die eine höhere Leistung hat und billiger ist als das derzeitige Vega-Modell.

2021 ist auch ein wichtiges Jahr für die Mission "ExoMars". Der Name steht für "Exobiologie auf dem Mars". Es soll nach Leben geforscht werden, der Start 2022 wird 2021 vorbereitet. Außerdem wird die Trägerrakete "Ariane 6", die 2022 abheben soll, weiter entwickelt. Ein Problem in Europa ist, dass unsere kommerziellen Raketen gegenüber der US-Privatfirma SpaceX noch nicht wettbewerbsfähig sind. Daher ist auch "Ariane 6" leistungsfähiger und günstiger im Vergleich zur derzeitigen "Ariane 5".

Im Juni treten Sie die Funktion des ESA-Generaldirektors an. Derzeit führen Sie mit der Erdbeobachtung das größte Direktorat. Welche Projekte wollen Sie in dieser Sparte verwirklichen?

Wir haben neue, kleine, leichte Systeme für die Erdbeobachtung namens "Scout" (Pfadfinder) im Programm. Weiters wird sich heuer ein Projekt namens "Digital Twin Earth" manifestieren. Dabei soll ein digitaler Erdzwilling entstehen, mit dem sich mögliche Szenarien berechnen lassen. Wir wollen Daten der Erdbeobachtung mit geophysikalischen Modellvorhersagen und künstlicher Intelligenz kombinieren, um Simulationen unseres Planeten durchzuführen. Es geht um die Frage "was wäre, wenn": Was würde etwa passieren, wenn wir den Regenwald zu 30 Prozent abholzen, oder die Zahl der Kohlekraftwerke zehn Jahre früher senken würden? Wie können wir Klimaneutralität bis 2040 erreichen? Außerdem arbeiten wir an Konzepten für Satelliten-Konstellationen für Breitband-Internet. Und wir arbeiten am "James Webb"-Teleskop der Nasa mit. Es soll Ende des Jahres mit einer "Ariane 5"-Rakete starten.

Gibt Ihre Bestellung einen Einblick in künftige Schwerpunkte?

Normalerweise hört man zum Thema Weltraum von der Führung der Nasa oder von China, das auf der Rückseite des Mondes landet. Von Europa hört man nicht immer, dass wir weltführend sind, aber in der Erdbeobachtung sind wir es: Mit "Copernicus" wurde das weltbeste Erdbeobachtungsprogramm der Welt aufgebaut.

Als Generaldirektor werde ich sicher meine Basis weiter verstärken. Jedoch hat die Größe des Direktorats marginal mit meiner Person zu tun. Vielmehr ist sie Ausdruck dessen, dass die Mitgliedsländer die Erdbeobachtung für essenziell für die Bevölkerung halten. Ich werde sicherstellen, dass dieses Interesse ausgebaut wird.

Der amtierende Generaldirektor Jan Wörner hatte die Vision, ein Dorf auf dem Mond zu bauen. Sie wollen die ESA "näher an das Niveau der Nasa" heranbringen, welche 2024 mit Astronauten auf dem Mond landen will. Teilen Sie Wörners Vision?

Das Dorf auf dem Mond wird nicht 2024 entstehen, das ist klar. Was ich aber eigentlich erreichen will, wenn ich sage, dass ich die ESA näher an das Niveau der Nasa heranführen will, ist etwas anderes. Was Wirtschaftskraft und politische Stellung betrifft, ist Europa mit Amerika und China vergleichbar. Nicht vergleichbar sind die Investitionen in den Weltraum. Ich will einen Prozess initiieren, in dem Europa darüber reflektiert, wie die Raumfahrt als Teil der politischen Verantwortung und der Möglichkeiten des Kontinents gesehen werden kann.

Wie darf man sich das vorstellen?

Die USA geben fünf- bis siebenmal so viel Geld für Weltraumtechnologie und Weltraumforschung aus wie alle europäischen Länder und Institutionen zusammen und die Investitionen werden anders für die Gesellschaft genutzt. In China ist Weltraum auf der Roadmap von Präsident Xi Jinping ein Pfeiler, um Superpower-Status zu erreichen bis 2050. Natürlich kann man Investitionen in Renminbi nicht eins zu eins umrechnen, weil die Arbeitskraft in Europa und in den USA viel teuerer ist. Aber Chinas ambitioniertes Programm ist mit den USA beinahe vergleichbar.

Europa hat viel Exzellenz, aber nicht so viel wie die anderen beiden Blöcke. Was ich erreichen will, ist eine Reflexion darüber, wo Europa im Vergleich dazu steht, was seine geopolitischen Prioritäten sind und wie der Weltraum dabei helfen kann, sie zu erreichen. Der Prozess muss nicht nur von der ESA, sondern auch von der Europäischen Kommission und der EU angeführt werden. Ziel ist, innerhalb der nächsten zwei Jahre die Ambition Europas für die nächsten zwei Dekaden zu definieren. Dabei sollten wir die Nasa als Beispiel nehmen und näher an sie herankommen.

Welchen Stellenwert hat die Raumfahrt in Europa jetzt?

Die ESA hat ein Budget von 6,5 Milliarden Euro pro Jahr. Wir haben 520 Millionen Einwohner - minus Vereinigtes Königreich 450 Millionen. Im Durchschnitt gibt jeder Bürger in Europa 12 Euro im Jahr für den Weltraum aus. Das ist so viel wie oder sogar weniger als eine Kinokarte. In den USA ist es viel mehr. Natürlich hat die Mondlandung geholfen. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, dass sie der Ursprung der amerikanischen Dominanz in den Informationstechnologien (IT) ist. Europa hat jedenfalls viel nachzuholen.

Kann Österreich durch Ihre Bestellung zur Weltraumnation werden?

Österreich mag klein sein, es ist aber bei weitem nicht unbedeutend. Die Qualität ist top, sowohl technologisch als auch in der Wissenschaft, die in dem Fachgebiet zur besten der Welt zählt. Aber es gibt Potenzial, das zu vergrößern, auch wirtschaftlich und kommerziell. Weltraum, verknüpft mit IT, kann neue Felder öffnen. Die kommerzielle Raumfahrt wächst und ich möchte den Sektor entwickeln und neue Firmen in dem Bereich unterstützen.

Mit welchen Maßnahmen wollen Sie die kommerzielle Raumfahrt fördern?

Flaggschiff-Programme sind wichtig. Es wäre absolut wünschenswert, zusätzlich zu "Galileo" (Satellitennavigation) und "Copernicus" neue Flagship-Programme zu entwickeln.

Sie sind seit der Mondlandung vom Weltraum fasziniert und wollten schon früh bei der ESA arbeiten. Kann man sagen, 2020 war Ihr bestes Jahr?

2020 war für mich persönlich sicherlich ein fantastisches Jahr, zum einen natürlich, weil mein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen ist, zum anderen, weil wir in der Erdbeobachtung erfolgreich waren. Wir hatten drei Satellitenstarts und haben die nächste Generation von "Copernicus" auf die Beine gestellt. Trotz, oder auch wegen Covid, haben wir mit der Nasa und der japanischen Weltraumagentur Jaxa ein Dashboard entwickelt, aus dem man Parameter für die Auswirkungen von Covid-Restriktionen auf Luftqualität, Gesundheit und Landwirtschaft ableiten kann, das viel verwendet wird. Es war ein sehr gutes Jahr trotz aller Widrigkeiten.

Warum ist es ungewöhnlich, dass ein kleines Land die Spitze der ESA stellt?

Seit Beginn der ESA 1975 waren mit Ausnahme einer dänischen Spitze 1980 bis 1984 die Generaldirektoren aus Frankreich, Deutschland, Italien und UK. Hintergrund ist, dass die größten Länder die größten Beiträge bezahlen. Dass Österreich mit etwas mehr als einem Prozent des Budgets oder 51 Millionen Euro die Spitze stellt, ist außergewöhnlich, aber ich will das nicht überbewerten. Der Generaldirektor sollte kein Land vertreten, sondern als europäischer Bürger die Interessen aller ESA-Mitgliedsländer. Insofern sollte Qualität, Management- und Leadership-Erfahrung das Hauptkriterium sein.

Sie waren der klare Favorit. Welche Fähigkeiten, glauben Sie, haben es Ihnen ermöglicht, den Posten zu bekommen?

Da müssen Sie die ESA-Mitgliedsstaaten fragen, die die Auswahl getroffen haben. Ich glaube aber, was sicher wichtig war für die Mitglieder, war meine Erfahrung innerhalb der ESA und die anerkannte Führungsqualität des erfolgreichen Erdbeobachtungs-Direktorats, das eines der stärkstwachsenden ist. Das andere ist sicher auch meine gute Kooperation mit der EU-Kommission, gerade im Zuge von "Copernicus".

Josef Aschbacher, geboren 1962 in Ellmau, tritt am 1. Juli die Funktion des Generaldirektors der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA an. Der Sohn von Bergbauern studierte Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck und entwickelte das EU-Erdbeobachtungsprogramm "Copernicus" mit. Seit 2016 ist er Direktor der Erdbeobachtungsprogramme der ESA. Er wurde am 17. Dezember 2020 als Nachfolger von Jan Wörner für vier Jahre zum Generaldirektor gewählt.