Wiens Kulturstadtrat zur Bedeutung der Gedächtniskultur einer Stadt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": Warum ist Gedächtniskultur so wichtig?Andreas Mailath-Pokorny: Solche symbolischen Themen sind grundsätzlich für die Entwicklung einer Stadt sehr wichtig. Ich erlebe in meinem eigenen politischen Bewusstsein verschiedene Phasen der Erinnerung: Bis 1986 hieß das offizielle Motto Verdrängung. Mit Waldheim ist dann vieles aufgebrochen, weil es jüngere Generationen hinterfragt haben. Da hat sich dann das offizielle Österreich von einigen Staatsdoktrinen verabschiedet - wie etwa jene, wonach Österreich ausschließlich das erste Opfer der Hitler-Aggression war. Ich habe miterlebt, wie Österreich auf die im Nationalsozialismus vertriebenen Menschen zugegangen ist. Ich habe miterlebt, wie bis zum heutigen Tag Dinge erst nach und nach aus der Verdrängung herausgehoben werden mussten. Und jetzt helfe ich dabei, hier nachzuforschen.
Wie tun Sie das konkret?
Wir schauen uns zum Beispiel die Benennungen der Straßennamen an. Wobei es aber nicht darum geht, Dinge auszulöschen, sondern sie sichtbar zu machen und sie in einen historischen Zusammenhang zu stellen. Ich glaube, dass die Diskussion über die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings eine gute war, weil sie weitgehend war. Hier ging es eben nicht darum, Lueger vergessen zu machen, denn es gibt noch viele Orte in der Stadt, die an Lueger erinnern. Aber bei diesem einen, der zwischen den Leuchttürmen der Aufklärung - die Uni und das Burgtheater - liegt, sollte ein Signal gesetzt werden. Wir haben weiters alle Ehrenbezeugungen aus der Nazizeit gestrichen. Wir sind draufgekommen, dass es keine Ehrengräber für Juden gegeben hat, was wir geändert haben. Wir bemühen uns sehr um die jüdischen Friedhöfe in der Stadt. Die Liste ließe sich lange fortsetzen - deswegen habe ich auch eine Publikation ausarbeiten lassen, weil ich glaube, dass man das herzeigen kann und soll.
Wie ist das mit den Straßennamen?
Im Stadtgefüge kann man die Geschichte der Stadt nachvollziehen und nacherleben. Der Nationalsozialismus ist ja nicht vom Himmel gefallen und dann plötzlich wieder verschwunden. Das war eine Entwicklung.
Wie viele Straßennamen in Wien stammen aus der Nazizeit?
Es gibt mehr als 6000 Straßennamen in Wien, davon sind mehr als die Hälfte personenbezogene Straßennamen, und die werden unter der Leitung von Professor Rathkolb angeschaut. Wirkliche Kriegsverbrecher aus der Nazizeit gibt es keine mehr. Interessant ist aber, dass in den 50er, 60er Jahren noch Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft von den damaligen politischen Verantwortlichen mit Straßennamen geehrt wurden. Und das sind alles Menschen, die zwar heute keiner mehr kennt, wohl aber bekannte Persönlichkeiten in der Nazizeit gewesen sein dürften.
Wie viele Straßen sind betroffen?
Das ist noch schwer zu sagen. Es werden keine 10 Prozent sein, aber auch nicht nur ein Prozent. Und da muss man sich auch überlegen, was man damit macht. Denn keiner will in einer Straße wohnen, die plötzlich übel beleumundet ist.