Zum Hauptinhalt springen

In Europa bricht eine neue Reformationsära an

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Ein Gerangel um die Entsendung der Personen und um die Finanzierung haben den Aufbau des EU-Reformkonvents in unrühmlicher Weise geprägt, seit er im Dezember von den Staats- und Regierungschefs formell eingesetzt wurde. Am 28. Februar nimmt das Gremium seine Arbeit auf. Ob aus der elitären Denkerstube eine Verfassung für die EU herauskommt?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der österreichische EU-Abg. Johannes Voggenhuber war einer der Ersten, der - von den Europäischen Grünen - in den Konvent entsandt wurde. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat sich überraschend für den ehemaligen ÖVP-Minister Johannes Farnleitner als Regierungsvertreter entschieden. Aus dem Parlament ziehen für die SPÖ Europasprecher Caspar Einem (wie schon beim Konvent zur Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta im Jahr 2000) ein, für die FPÖ der stv. Klubobmann, Reinhard Bösch. Die österreichischen Delegierten treffen im Konvent auf arrivierte Europapolitiker wie Luxemburgs Ex-EU-Kommissionspräsident Jacques Santer oder Frankreichs Europa-Minister Pierre Moscovici.

Freilich wird der Vorsitzende, Frankreichs Ex-Präsident Valéry Giscard d´Estaing, sehr unterschiedliche Vorstellungen und Wünsche unter einen Hut bringen müssen. Denn vertreten sind neben den nationalen Regierungen und Parlamenten der EU-15 und dem Europäischen Parlament auch zwei Mitglieder der Kommission sowie Repräsentanten der Beitrittskandidaten. Für die Kommission sitzen der Franzose Michel Barnier (ad personam zuständig für die Regierungskonferenz) und der Portugiese Antonio Vitorino (Justiz) im Konvent. Neben den 12 mittel- und osteuropäischen Staaten, mit denen die EU derzeit über eine Mitgliedschaft verhandelt, entsendet auch die Türkei drei Vertreter, obwohl mit dem EU-Bewerberstaat noch keine Beitrittsverhandlungen geführt werden. Die Kandidatenländer sind gleichberechtigt (aus Regierung und Parlament) vertreten, können aber Konsens-Entscheidungen der EU-15 nicht blockieren. Beteiligt werden auch Nicht-Staatliche Organisationen und Sozialpartner. Davon verspricht sich etwa Kommissarin Viviane Reding, dass die vorgelegten Reform-Optionen auf einer breiten Basis der Zivilbevölkerung stehen werden, wie sie bei ihrem Wien-Besuch zur "Wiener Zeitung" sagte. Es sollte "in ausgeglichener Form" herauskommen, "was die Menschen wirklich wollen". Doch darüber sind sich vorerst nicht einmal die EU-Chefs einig.

Die Union soll bürgernäher, transparenter und effizienter werden, damit sie auch nach der großen Erweiterung arbeitsfähig ist. Die EU-Verträge sollen vereinfacht werden und "für Schüler lesbar" sein, lautet ein geflügelter Anspruch. Zumindest wird der Konvent bis Anfang 2003 in öffentlichen Sitzungen beraten. Aber über brisante Fragen wie, ob der Kommissionspräsident direkt gewählt werden oder die drei großen Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien gar ein Direktorium als Exekutiv-Organ bilden sollen, scheiden sich die großen Geister.

Dass ohne den Gründerstaat Italien in der Europapolitik kein Staat zu machen ist, hat zudem Ministerpräsident und inzwischen Außenminister in Personalunion, Silvio Berlusconi, seine europäischen Kollegen gelehrt. Nachdem sich der charismatische, gefinkelte Medienzar wochenlang gegen einen EU-Haftbefehl quer gelegt hatte und diesen schließlich mit einer Übergangsperiode nur für Italien (während der vermeintliche Delikte gegen ihn verjähren würden...) akzeptierte, setzte er dank bravourösem Verhandlungsgeschick einen italienischen Vertreter im Präsidium des Konvents durch. Dem Vorsitzenden Giscard d´Estaing wurde - unter belgischem EU-Vorsitz - Italiens Ex-Regierungschef Giuliano Amato als Stellvertreter zur Seite gestellt; zweiter Vize wurde Belgiens Ex-Premier Jean-Luc Dehaene. Beide Posten waren an sich nicht vorgesehen. Entgegen der ursprünglichen Vereinbarung, jedes Land solle nur einen Vertreter haben, reklamierte Italien noch einen zweiten Repräsentanten in das Gremium - schuld war ein Übersetzungsfehler; der linke Ex-Premier weigerte sich ohnehin, die rechte römische Regierung zu vertreten. Also schickte Berlusconi ausgerechnet den Chef der Postfaschisten, Gianfranco Fini, ins Rennen. Dieser hatte sich bisher durch kritische Europa-Töne hervorgetan. Mittlerweile scheint Fini geläutert. Distanzierte er sich doch von seinem Vorgänger Benito Mussolini, dem er vor gar nicht so langer Zeit als "größter Staatsmann des 20. Jahrhunderts" huldigte. Auch strebt Fini an, dass seine postfaschistischen EU-Abg. in der EVP-Fraktion Aufnahme finden. Doch der Postfaschisten-Führer ist nicht der einzige Querkopf im EU-Reformgremium - und wird sich letztlich wohl als integrativer erweisen, als es möglich erscheinen konnte. Einen erklärten Euroskeptiker hat die rechte dänische Regierung mit dem Vize-Chef der rechtspopulistischen Volkspartei, Peter Skaarup, nominiert. Dass der Konvent aus einer Bandbreite von Ex-Troskyisten und Ex-Faschisten zusammen gesetzt ist, widerspiegle eben die Verschiedenheit der europäischen Politik, meinte ein britischer Vertreter.

Die Zeit für eine EU-Verfassung halten viele noch nicht für reif. Eine solche könnte sich als starres Korsett erweisen und die Union mehr behin- dern als fördern.

(Siehe auch Seite 5)