Ist Premier Tsipras bereit, den Wagen in letzter Konsequenz an die Wand zu fahren? Eine Lösung im Schulden-Krimi ist nicht in Sicht.
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Athen. Nicht nur die Gläubiger, auch die griechische Zentralbank drängt Premier Alexis Tsipras, im Schuldenstreit endlich eine Einigung zu ermöglichen. Sonst gerate das Land auf einen "schmerzhaften Weg, der zu einem Bankrott und schließlich zum Ausscheiden des Landes aus der Eurozone und höchstwahrscheinlich auch aus der EU führen würde". Ein Euro-Ausstieg hätte eine tiefe Rezession, dramatische Einkommenseinbußen und ein Hochschnellen der Arbeitslosigkeit zur Folge, warnt die Zentralbank. Der Abschluss eines Abkommens sei deshalb "ein historischer Imperativ, den wir nicht ignorieren können".
Washington ist besorgt, macht Druck. US-Finanzminister Jacob Lew forderte Tsipras via Telefon auf, sich zu bewegen. Wenn Athen keine Einigung mit seinen internationalen Gläubigern erziele, würde dies auch eine "generelle Unsicherheit für Europa und die Weltwirtschaft" bedeuten.
Aber es gibt weit und breit kein Anzeichen dafür, dass Tsipras einlenken wird. Die Nervosität in den europäischen Hauptstädten wächst, auch die Menschen auf den Straßen von Athen bekommen es langsam mit der Angst zu tun. Will der linke Syriza-Mann den Wagen an die Wand fahren, oder blufft er nur? Viel war in den letzten Monaten auf der Seite der griechischen Regierung von "Ehre" die Rede und der "Demütigung eines Volkes" durch die Gläubiger, die man nicht mehr hinnehmen werde. Was, wenn die griechische Regierung gar einen "heldenhaften Tod", sprich den Staatsbankrott, in Kauf nimmt? Dagegen spricht freilich, dass Tsipras und Varoufakis in der Vergangenheit immer wieder klargemacht haben, dass sie einen Bankrott für eine Katastrophe für ihr Land halten. Oder schätzen der junge Premier und sein politisch unerfahrener Finanzminister die Lage vollkommen falsch ein? Gehen sie tatsächlich davon aus, dass Europa die Griechen nicht fallen lässt? Aber was, wenn irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem es den EU-Partnern reicht? Unklar ist auch, ob Varoufakis weiß, was er tut. Ist der Professor und Spieltheoretiker ein Narr oder doch ein Genie?
Unbekannte Variablen
Die britische Regierung überlässt jedenfalls nichts dem Zufall und verstärkt bereits ihre Vorbereitungen für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Eine Zahlungsunfähigkeit würde vermutlich ein "ernstes wirtschaftliches Risiko" für Großbritannien mit sich bringen, so eine Sprecherin von Premier David Cameron. Auch die Slowakei trifft "mit anderen EU-Staaten" Vorbereitungen für den Fall des Falles. In der EU-Kommission wird an Plänen gearbeitet, wie es dann weitergehen könnte. Und wieder ist nicht klar: Wird hier geblufft, Dampf abgelassen, eine Drohkulisse aufgebaut, oder ist es den Akteuren ernst?
Die unmittelbaren Folgen eines Bankrotts und des wahrscheinlichen Austritts aus der Eurozone scheinen für den Rest Europas beherrschbar. Die Frage ist aber, welchen Schaden das politische Projekt Europa nehmen würde. Für viele wäre der "Grexit" der Anfang vom Rückbau der Einigungs-Idee. Die EU, die von vielen Seiten unter Druck geraten ist, könnte ausfransen. Viele beruhigen, dass es so schlimm nicht werde. Ein Austritt der Griechen, die längst zum Mühlstein am Fuß er EU geworden sind, wäre heilsam. Auch hier ist die Ungewissheit enorm. Deutschland und Frankreich, der Motor der EU, wollen das Risiko nicht eingehen und beharren auf einem Verbleib der Griechen in der Eurozone. Auch Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem will das.
Heute Donnerstag soll bei einem Treffen der Eurogruppe in Luxemburg über eine Lösung der Schuldenkrise debattiert werden. Da aber keine neuen griechischen Vorschläge auf dem Tisch liegen, sind die Erwartungen niedrig. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble ist schon froh, wenn man "einen Schritt" vorankommt. Es herrscht Ratlosigkeit, es scheint manchmal, als gäbe es nichts mehr zu besprechen. Am Freitag kommen dann alle EU-Finanzminister zusammen, auch hier wird es um die Griechenland-Krise gehen. Gerüchte um ein Treffen der Staats- und Regierungschefs am Wochenende haben sich wieder verflüchtigt. Denn wozu ein Gipfel, wenn jeder den Ball im Feld des anderen sieht und jeder das Gefühl hat, bereits das Maximum angeboten zu haben?
Für Beobachter sieht es so aus, als würde das griechische Narrenschiff mit voller Fahrt auf das Riff zusteuern. Es wird auf beiden Seiten abgewartet, wer als Erster die Nerven verliert.