Ehemalige UN-Missionsleiterin Tagliavini: Friedensbemühungen enorm zurückgeworfen. | "Wiener Zeitung": Anders als die UN-Mission wurde die EU-Beobachtermission für Georgien verlängert. Was kann die überhaupt tun, außer beobachten?
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Heidi Tagliavini: In jeder Konfliktregion ist es wichtig, dass wieder Stabilität einkehrt. Und so eine Mission ist ein substanzieller Beitrag dafür. Politische Verhandlungen und Friedensbemühungen sind ohne eine elementare Sicherheit nicht denkbar.
Wie sieht es denn mit den Verhandlungen rund um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien aus?
Der Konflikt zwischen Georgien und Russland im Sommer 2008 hat alle Friedensbemühungen enorm zurückgeworfen. Wir sind jetzt fast am Nullpunkt. Davor haben all die Missionen zwar auch keine umfassende politische Lösung gebracht, aber es war ein Verhandlungsmechanismus da. Mit einem Schlag ist alles weggewischt worden, und wir können nicht an Altes anknüpfen. Zur Zeit besteht kein Grundkonsens darüber, wie die Zukunft der Region aussehen soll.
Erst vor wenigen Wochen ist nach mehr als drei Jahren wieder ein Grenzübergang zwischen Georgien und Russland geöffnet worden. Ist das schon ein Zeichen für eine Besserung der Beziehungen?
Es gibt sehr viel Misstrauen auf beiden Seiten. Da ist so ein kleines Tor, das geschlossen war und wieder geöffnet wurde, schon ein Symbol für Fortschritt. Es zeigt aber auch, wie viel Arbeit noch geleistet werden muss.
Sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Lösung gefunden wird, nicht mit jedem Jahr, das verstreicht?
Wir haben vor allem völkerrechtlich eine problematische Situation, wo ein Land - Russland - zwei Regionen als eigene Länder anerkannt hat. Und so gut wie alle anderen Staaten argumentieren mit der territorialen Integrität und sehen Südossetien und Abchasien nur als Teil Georgiens an. Dieser Widerspruch muss ausgeräumt werden.
Ähnliche Debatten gab es nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo.
Die Abchasen und Südosseten sind aus ihrer Sicht auch unabhängig. Doch sie sind in einer anderen Situation als die Kosovaren. Ihre Selbständigkeit muss doch eher bezweifelt werden, wenn dort Militärstützpunkte eines anderen Landes bestehen. Was ist das für eine Option für ein neu unabhängiges Land? Abgesehen davon, sind in den Vereinten Nationen alle Staaten für Selbstbestimmung der Völker, aber innerhalb des jeweiligen Landes. Kärnten etwa kann sich ja auch nicht für unabhängig erklären, wenn die österreichische Verfassung dies nicht vorsieht.
Wie könnte dann eine Lösung aussehen?
Vor einigen Jahren habe ich eine Studie gemacht, wie diese Konflikte aus der Falle der Unabhängigkeitsbewegungen herausgenommen werden könnten. Ich habe vorgeschlagen, diese Gebiete unter internationale Aufsicht zu stellen. Doch das wäre eine Ausnahmesituation. In der UNO ist es politisch schwer, einen Konsens für so eine Verwaltung zu erreichen; auch kostet es viel Geld, Aufwand und Personal. Wir müssten dennoch solche Regionen zunächst entpolitisieren. Erst wenn die Frage: "Sind wir mit Russland, Georgien oder unabhängig?" vom Tisch ist, kann sich die Lage beruhigen.
Doch das haben auch die UN-Missionen in 16 Jahren nicht geschafft. Hatten Sie irgendwelche Erfolge als Leiterin?
Ich kann zumindest sagen, dass wir während der vier Jahre meiner Leitung keinen Krieg hatten. Und selbst ein schlechter Status quo ist jedem guten Krieg vorzuziehen.
Die Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini war an Botschaften in Russland und Bosnien-Herzegowina sowie für die OSZE in Tschetschenien tätig. 2002 bis 2006 leitete sie die UN-Beobachtermission in Georgien. Als Sonderbeauftragte der EU untersuchte sie die Gründe für den Konflikt zwischen Georgien und Russland 2008.