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Vatikanstadt - Für "unrealistisch", wenn "vielleicht auch nicht völlig ausgeschlossen" halten Kurien-Insider die Idee einer Friedensmission des Papstes nach Bagdad. Wenn eine solche Geste tatsächlich zur Vermeidung eines Krieges beitragen könnte, würde der 82-jährige Papst möglicherweise die Strapazen auf sich nehmen, hieß es. Der irakische Vatikan-Botschafter Abdul Amir al Anbari hatte in einem Pressegespräch die Reise-Idee aufgebracht. Vizepremier Tarek Aziz, ein chaldäischer Christ, wolle bei seinem Vatikanbesuch am Freitag Johannes Paul II. eine Einladung überbringen, meldeten italienische Zeitungen.
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Die Idee päpstlicher Friedensmissionen in ausweglosen Situationen ist nicht neu. Schon während des Libanon-Krieges in den achtziger Jahren wurde über einen Besuch Johannes Pauls II. in Beirut spekuliert, mit dem er als "Deus ex Machina" in höchster Not das Unmögliche möglich machen sollte. Der Papst schien damals nicht abgeneigt. Nach Attentatsdrohungen und nach Versuchen, das Projekt einseitig zu instrumentalisieren, wurde die Idee fallen gelassen. Auch auf dem Balkan sollte und wollte der Papst im Herbst 1994 mit einer Reise dem Frieden zum Durchbruch verhelfen. Aber von der geplanten Rundreise nach Belgrad, Zagreb und Sarajewo blieb zuletzt nur ein Kurzbesuch in der kroatischen Hauptstadt. Die UNO konnte einen sicheren Transport und Ablauf nicht garantieren. In anderen Fällen sollten Papstbesuche nach Kriegen Versöhnung fördern oder einen brüchigen Frieden sichern helfen - wie etwa 1982 beim Falkland-Konflikt.
Die Idee einer Friedensreise nach Bagdad unterstreicht das Ansehen, das der Papst als überparteiliche, international geachtete moralische Instanz auch im Irak genießt. Allerdings erinnert man sich in Rom, dass vor drei Jahren eine geplante Reise Johannes Pauls II. auf den Spuren Abrahams an dessen Geburtsort Ur nicht zu Stande kam. Mehrere Sondierungen der Vatikan-Unterhändler in Bagdad brachten kein Programm zustande, das dem Papst die erwünschten Bewegungs- und Redemöglichkeiten eingeräumt hätte. In der jetzigen Situation, angesichts der militärischen Drohkulisse scheinen solche Vorbehalte nicht mehr zu zählen.
Unklar ist, ob der Vatikan ein solches Projekt ernsthaft prüft oder von vorneherein verwirft oder ob der Papst möglicherweise doch noch alle mit einer solchen Friedensgeste überrascht. Bereits seit Wochen versuchen der Papst und seine Mitarbeiter alles Mögliche - vom öffentlichen Appell bis zur diskreten Diplomatie -, um zur Vermeidung eines Krieges beizutragen. Schon die spontane Zusage einer Papstaudienz für Aziz war ein Signal. Dann wird Johannes Paul II. vier Tage später mit UNO-Generalsekretär Kofi Annan sprechen.
Und nicht abgeebbt sind die Spekulationen um die derzeitige Mission des vatikanischen "Krisenministers" Kardinal Roger Etchegaray, bei der er Saddam Hussein eine persönliche Papstbotschaft überreichen will. Der Besuch wurde bis zum letzten Moment dementiert, die Existenz konkreter Pläne bestritten. Dann wurde die Abreise Etchegarays um einige Tage vorgezogen. Und nun rätseln Beobachter, wozu sich der Kardinal mehrere Tage lang im Irak aufhält: Mit wem er verhandelt, was er bespricht, ob er neue Pläne mitbringt, was er vorbereitet. Denn erst am Sonntag, hört man, soll er nach Rom zurückkehren.
In jedem Fall müssen die Mächtigen von heute zum Unterschied von ihren Vorgängern 1914 und 1939 zur Kenntnis nehmen, dass der Heilige Stuhl ein wichtiger "Player" auf dem internationalen Schachbrett ist, noch dazu einer, der sich von keiner Seite vereinnahmen lässt.