)
Das Gerangel um künftige Ministerposten hat bereits begonnen. Unerfahrenheit ist jetzt kein Pluspunkt mehr.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der frühere EZB-Chef Mario Draghi soll Italiens neuer Regierungschef werden. Die Erwartungen sind groß, an Vorschusslorbeeren für "Super Mario" mangelt es nicht. Draghi wird zugetraut, in Zeiten der Pandemie und Krise Italiens Wirtschaft zu sanieren.
In einem ersten Schritt will der Ökonom mit Unerfahrenheit und Inkompetenz in der Regierung aufräumen - und Schlüsselposten mit Experten besetzen. Denn die Protestbewegung Fünf Sterne, die über ein Drittel der Parlamentssitze verfügt, hat zuvor junge und unbedarfte Leute in die politische Verantwortung geschleust. Jeder Bürger könne politische Verantwortung übernehmen, lautete das Credo, Basisdemokratie sei das Gebot der Stunde. Der herkömmliche Parlamentarismus wäre ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, dank Internet und neuen digitalen Technologien würden konventionelle Formen der politischen Vertretung obsolet.
Banker als Minister
Damit soll jetzt Schluss sein: Draghi, dem 2012 das Meisterwerk gelang, den Euro zu retten, wird zwar kein reines Expertenkabinett bilden; die Schlüsselministerien sollen aber mit Fachleuten besetzt werden. "Draghi fegt die populistische Mittelmäßigkeit weg. Er wird der italienischen Politik wieder ihre Würde verleihen, die sie mit der letzten inkompetenten Regierung verloren hat", jubelt bereits die italienische Tageszeitung "Il Riformista".
Als Wirtschaftsminister hat Draghi offenbar den Generaldirektor der italienischen Notenbank, Daniele Franco, im Auge. Ein weiteres Wirtschaftsressort könnte er Dario Scannapieco, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, anvertrauen. Der Ex-Präsident des Statistikamts Istat, Enrico Giovannini, ist laut internen Informationen für die Führung eines neu zu gründenden Ministeriums für den "ökologischen Übergang" vorgesehen.
Klar ist, dass Draghi auch altbekannten politischen Figuren Ministerposten geben muss. Sonst würden die maßgeblichen Parteien, auf die er angewiesen ist, nicht mitspielen.
Das Gerangel um die Ämter hat bereits begonnen: Ein Ressort könnte der scheidende Außenminister Luigi Di Maio als Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung bekommen. Auch Giancarlo Giorgetti, Vertrauensmann von Lega-Chef Matteo Salvini, winkt ein Kabinettsposten.
Salvini hat jedenfalls klargemacht, dass er einer Regierung unter Draghi aufgeschlossen gegenübersteht: "Im Gegensatz zu einigen anderen denken wir nicht, dass wir weiterkommen, wenn wir immer Nein sagen", so der Rechtspopulist. Eine weitere Rechtspartei, die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi, zeigt sich von Draghi begeistert. Und auch die Parteispitze der Fünf Sterne kann sich Draghi als Premier vorstellen.
Online-Abstimmung
Die Basis der Fünf Sterne ist freilich zerstritten. Am heutigen Mittwoch ab 13 Uhr sollen alle Parteimitglieder online abstimmen, ob man Draghi unterstützen soll oder nicht. Unklar ist, ob die Parteispitze dann im Fall eines Nein tatsächlich auf eine Regierungsbeteiligung verzichtet.
Bei Neuwahlen wäre die Lega laut Umfragen mit 24 Prozent derzeit die stärkste Partei. Längst steht Salvini in den Startlöchern, um in Rom die Macht zu übernehmen. Die nächsten regulären Wahlen sind aber erst für 2023 angesetzt. Die Frage ist, ob Salvini so lange warten muss. Denn die durchschnittliche Lebensdauer einer Regierung beträgt in Italien etwas mehr als ein Jahr.
Draghi ist es jedenfalls gelungen, die Front der Rechtspopulisten, die noch vor wenigen Tagen kompakt auf vorgezogene Wahlen in Italien pochten, zu sprengen. Offen gegen ihn tritt jetzt nur noch die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia auf.