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In jedem Alter Kinder bekommen

Von Eva Stanzl

Wissen

Kongresspräsident Feichtinger: Künftig Eizellen und Spermien aus Körperzellen.


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Aller Anfang des menschlichen Lebens ist in der Petrischale.
© © Ted Horowitz/Corbis

"Wiener Zeitung": Dass aus einem befruchteten Ei ein Mensch entsteht, ist ein Wunder und ein Rätsel", schreibt das US-Fachmagazin "Science". Wie schwierig ist es, am Anfang Ei- und Samenzelle außerhalb des Körpers zu befruchten?Wilfried Feichtinger: Es ist nicht schwierig. Über die Jahrzehnte wurden chemische und technische Voraussetzungen geschaffen - Nährlösungen, Mikromanipulatoren und Brutschränke.

Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) befruchten Sie Ei- und Samenzelle in der Petrischale. Danach reift die befruchtete Eizelle im Brutschrank, um schließlich in die Gebärmutter eingesetzt zu werden in der Hoffnung auf eine Schwangerschaft. Warum funktioniert das manchmal und manchmal nicht?Die Befruchtung funktioniert heute zu 90 Prozent. Nach wie vor gibt es jedoch unberechenbare Faktoren, die die Einnistung der Eizelle verhindern können. Dazu zählen Unverträglichkeiten, Abwehrmechanismen, Blutgerinnungs-Probleme, eine schlechte Gebärmutter-Schleimhaut oder genetische Probleme in den Ei- und Samenzellen.

Die genetischen Probleme können wir weitgehend verhindern. Etwa können wir die richtige genetische Verteilung an allen Chromosomen der Eizelle feststellen. Das verwendete Spermium können wir hingegen nicht testen, da Samenzellen sich anders bilden als Eizellen. Sie teilen sich immer in mehrere gleiche, haploide Zellen (mit je dem halben Chromosomensatz). Eizellen stoßen dagegen ihren halben Chromosomensatz in einem Abfallprodukt, dem Polkörper, ab. Während wir den Polkörper untersuchen können, ist es nicht möglich, aus den Millionen von Spermien das für die Befruchtung geeignetste zu finden.

IVF hat der Diagnose an der Eizelle Tür und Tor geöffnet. Was kann man untersuchen? Wie weit sollte man dabei sinnvollerweise gehen?

Heute kann man in Österreich Erbkrankheiten ausschließen, die von Chromosomen-Verschiebungen in der Eizelle ausgelöst werden, und zwar durch Untersuchungen am Polkörper. Die Diagnose an der befruchteten Eizelle ist verboten, somit dürfen wir keine vom Mann übertragene Erbkrankheiten suchen. Ich bin der Ansicht, dass solche Verbote die Wissenschaft beeinträchtigen. Grundsätzlich sollte alles, was machbar ist, gemacht werden.

Sehen wir einer Menschheit entgegen, die frei ist von Erbkrankheiten?

Theoretisch ja. Wir sehen sogar einer Welt ohne Veranlagung zu an gewissen Genen sitzenden Erkrankungen entgegen, wie Brustkrebs oder familiärer Darmpolypose. Es gibt viele Erkrankungen, die eine genetische Disposition haben, die man zu 100 Prozent ausschließen kann. In den USA bieten etwa Kliniken mit Schwerpunkt Brustkrebs Hochrisiko-Patientinnen eine Alternative dazu, sich schon in jungen Jahren beide Brüste amputieren zu lassen.

Wilfried Feichtinger, geboren 1950 in Wien, führte 1982 die erste künstliche Befruchtung in Österreich erfolgreich durch. Heute leitet er das Wunschbaby-Institut Feichtinger in der Bundeshauptstadt. Er ist Präsident der Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie am 19. und 20. Oktober in Wien, wo zahlreiche Experten ihre neuesten Forschungsergebnisse darlegen werden. www.oegrm.at
© wif

Manche würden "Brustamputation als Gesundheitsvorsorge" als alptraumartig bezeichnen.

Wenn Trägerinnen dieser Form von Brustkrebs ein hohes Risiko haben, dran zu erkranken, sind Eizellen, die diesen Gen-Lokus nicht haben, die bessere Alternative. Technisch einfacher ist aber die Geschlechterbestimmung. Wenn in einer Familie Generationen an Brustkrebs verstorben sind, sollte eine Frau das Recht haben, sich durch Präimplantationsdiagnostik an der Eizelle einen Buben zu wünschen.

Inwiefern hat IVF unser Verständnis von Normalität verändert?

Insgesamt ist eine Liberalisierung des Denkens eingetreten. Das liegt aber nicht nur an der künstlichen Befruchtung, sondern am Aufbruch rigider Strukturen allgemein - etwa in der katholischen Kirche oder in autoritären Regimen. In diesem Sinn und im Sinne des veränderten Verständnisses von Paarbeziehungen strebt die Bioethikkommission eine Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes an. Wo Liberalisierung stattfindet, entsteht aber auch Fundamentalismus. Nicht umsonst hat der Entwickler der künstlichen Befruchtung, Robert Edwards, den Medizin-Nobelpreis erst 2010, mehr als 30 Jahre nach deren Entdeckung, erhalten.

Jüngst wurde bekannt, dass man funktionsfähige Eizellen aus Stammzellen züchten kann. Was ermöglicht das?

Bei einem internationalen Kongress zum Thema Gewebezüchtung kürzlich in Wien gab es keinen Vortrag zum Thema Geschlechtszellen. Man züchtet Knochen oder Haut, doch Fortpflanzung hat keine Priorität. Das hat aber nichts mit mangelnder Investitionsbereitschaft zu tun, sondern damit, dass es vordringlicher ist, herauszufinden, wie man Hautzellen für Verbrennungsopfer oder Knochen bei multiplen Brüchen züchtet. Gemessen an der Lebensnotwendigkeit ist die Fortpflanzung fürs Überleben völlig unbedeutend. Man kann ohne Hoden, Geschlechtszellen oder Eierstöcke leben: Sie gewähren das Überleben der Art, aber danach sind sie irgendwo ein Luxus für den Einzelnen. Dennoch tut sich viel in diesem Feld. Etwa könnten nicht nur Eizellen, sondern auch Spermien aus Körperzellen gezüchtet werden. Künftig könnten wir aus Körperzellen also beide Geschlechtszellen züchten. Damit würden sich Ei- und Samenspende erübrigen.

Könnte man somit in jedem Alter Kinder bekommen?

Theoretisch ja. Noch ist es eine weit entfernte Zukunftsmusik, aber ich sehe darin eine Zukunft.

Wann könnte sie beginnen?

Vermutlich in zehn Jahren, wobei ich mich da schon einmal verschätzt habe. Es gibt ein Modell, wie man Körperzellen in Geschlechtszellen umprogrammiert. Vor fünf Jahren dachte ich, das wäre heute Routine. Jene, die daran forschen, gehen aber im Moment im Kreis, weil die Chromosomenverteilung nicht so funktioniert, wie sie es sich vorgestellt haben. Dafür wurde nun für eine andere Methode der Medizin-Nobelpreis vergeben: die Reprogrammierung von Körperzellen in Stammzellen, die sich ihrerseits in alle Zelltypen entwickeln können. Aus ihnen könnte man auch Geschlechtszellen züchten.

Was sind die spannendsten Themen bei der Tagung der Gesellschaft für Reproduktionsmedizin?

Internationale Forscher berichten, wie sie in ihrem gesellschaftlich-religiösem Umfeld IVF aufgebaut haben. Im jüdischen Glauben beginnt das Leben erst mit der Geburt, in Israel ist die Diagnose an der Eizelle also unumstritten. Weiters geht es um Fortschritte beim Einfrieren von Eizellen in jungen Jahren für spätere Familiengründung. Und es gibt einen Vortrag zu Gebärmuttertransplantionen. Ich bin gespannt, ob das schon so gut geht wie bei Lebern und Herzen.