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In keiner Sprache zuhause

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Viele Gehörlose finden keine oder eine schlecht bezahlte Arbeit - die Wurzel des Problems liegt in der Schulausbildung.


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Wien. "Ich musste zuhause zusätzlich lernen, weil ich im Unterricht nicht alles verstanden habe. Daher habe ich den doppelten Zeitaufwand fürs Lernen gehabt", sagt Georg Marsh. Der 37-jährige gehörlose Gebärdensprachdolmetscher wurde während seiner eigenen Schulzeit in Lautsprache unterrichtet. Selbst in speziellen Gehörlosenschulen - sechs davon gibt es in Österreich - ist die Gebärdensprache nicht Pflicht, großteils werden die Kinder in der Lautsprache unterrichtet. Deutsch müssen Gehörlose hierzulande jedoch oft mühsam als "Zweitsprache" erlernen. Auch Kinder mit einem implantierten Hörgerät müssen sich Deutsch und die Aussprache erst antrainieren.

"Gehörlose sind in keiner Sprache zuhause", sagt Monika Haider, die 2004 das Qualifikationszentrum Equalizent in Wien gegründet hat. Besonders schwer haben es gehörlose Migranten, weil sich die Gebärden je nach Land unterscheiden.

Viele Gehörlose sind funktionale Analphabeten - haben also Defizite beim Rechnen und Schreiben. Gehörlose Studienabsolventen sind in Österreich die Ausnahme, auch der Anteil der Maturanten liegt deutlich unter dem Durchschnitt. Die Wurzel des Problems liegt in der Schule: Die hohe Rate von funktionalen Analphabeten erklärt Sprachwissenschafterin Verena Krausneker von der Universität Wien damit, dass "sie keine bilinguale Grundausbildung genießen konnten".

Gebärdensprache ist an Gehörlosenschulen keine Pflicht

Die Grüne Behindertensprecherin Helene Jarmer, selbst gehörlos, fordert seit Jahren bilingualen Unterricht: "Das Recht auf zweisprachige Ausbildung für gehörlose Kinder, also in österreichischer Gebärdensprache und Deutsch, sollte fix im Schulgesetz und im Lehrplan verankert werden."

Für Gehörlosenschulen brauchen Lehrer derzeit keine spezielle Ausbildung, auch das Beherrschen der österreichischen Gebärdensprache ist nicht verpflichtend, sondern freiwillig. Österreichische "Standard"-Gebärdensprache, die rund 8000 bis 10.000 Gehörlose in Österreich verwenden, lernen manche gehörlose Menschen erst nach der Schule, so Haider. Die Sprache ist hierzulande erst seit 2005 als eigenständige Sprache anerkannt - bis 1986 war sie sogar im Unterricht verboten.

Etwa zwei Drittel der gehörlosen Kinder besuchen eine integrative Ausbildung, ein Drittel spezielle Schulen - die allerdings keine Matura anbieten. Das Bildungswesen in Österreich für gehörlose und hörbehinderte Schüler und Studierende sei reformbedürftig, lautete das Ergebnis eines Forschungsprojektes 2006/07. Die Grundprobleme der nicht adäquaten Rahmenbedingungen seien auch Jahre später die gleichen geblieben, sagt Projektleiterin Krausneker, die seit 15 Jahren in der Gebärdensprachenforschung arbeitet. Dennoch gebe es Verbesserungen: "In Wien gibt es beispielsweise viele Eltern, die bilingualen Unterricht fordern."

"Lehrer sollten auf das Arbeiten mit Menschen mit Behinderung sensibilisiert werden", sagt Gebärdendolmetscher Georg Marsh. Derzeit gebe es kaum Lehrer, die Gebärdensprache beherrschen. Jarmer fordert eine verpflichtende Gebärdensprache-Ausbildung - mindestens auf dem Niveau B2 gemäß dem Referenzrahmen für Sprachen - für Pädagogen, die mit gehörlosen Menschen arbeiten.

"Ein akutes Problem" ist laut Krausneker, dass das Bildungsangebot für Gehörlose regional sehr unterschiedlich sei. Es komme durchaus vor, dass Familien hunderte Kilometer umziehen, um ein besseres Angebot für gehörlose Kinder nutzen zu können.

Mehr Berufsbilderöffnen

Die Arbeitslosenquote bei Gehörlosen liegt laut Haider rund dreimal über jener bei Hörenden. Beim Berufseinstieg gibt es immer wieder Probleme. Viele Gehörlose finden, wenn überhaupt, nur eine Stelle als Hilfsarbeiter oder eine niedrig entlohnte Anstellung. Das Unternehmen Equalizent, das vom Sozialministerium gefördert wird, möchte die Lücke zwischen Schul- und weiterführender Bildung oder Arbeitsleben schließen. Daneben werden auch Kurse für Bewerbungstraining, Staplerführerschein oder österreichische Gebärdensprache für Hörende angeboten.

Bis vor einigen Jahren lernten Gehörlose vor allem handwerkliche Berufe: Männer wurden etwa als Schlosser, Tischler oder Elektrotechniker ausgebildet, zahlreiche Frauen absolvierten die Schneiderinnen-Lehre. Eine Stelle fanden sie später jedoch nicht: "Man hat sie für Berufe qualifiziert, die am Arbeitsmarkt vorbeigeschrammt sind", sagt Haider.

Seither hätten sich die Berufsfelder jedoch verändert, so die Equalizent-Gründerin - die Palette reicht nun von der Reinigungskraft bis zum Architekten. "Unser Ziel ist, jedes Jahr ein neues Berufsfeld zu öffnen." Vor eineinhalb Wochen wurden die Vorbereitungslehrgänge zur Zahntechnik-Lehre und Mechatronik-Lehre abgeschlossen, in denen unter anderem auch Fachgebärden vermittelt werden. Alle Absolventen fanden eine Lehrstelle - in einem Betrieb oder am Berufsförderungsinstitut. Auch für Pflegehelfer und Masseure gab es zuvor Vorbereitungslehrgänge, im kommenden Jahr sollen erstmals in Wien Gehörlose die Ausbildung zum Kindergartenpädagogen beginnen können. Immer wieder gibt es Bedenken oder Widerstände für die Eignung Gehörloser für bestimmte Berufe, so Haider: Beispielsweise ist Singen bei der Aufnahmeprüfung für Kindergartenpädagogen vorgesehen. Auch bei Pflegehelfern gab es Sorgen, ob sich diese mit Patienten verständigen können. Inzwischen arbeiten drei gehörlose Pflegehelfer in Wien.

Verbesserungen gibt es auch bei der Lehrer-Ausbildung, für die Gehörlose zuvor nur als "außerordentliche Studenten" zugelassen wurden. Mittlerweile wurde die Aufnahmevoraussetzung Sprech- und Stimmleistung gestrichen. Jarmer: "Es wird sich in der Praxis zeigen, ob diese Änderung der Hochschulzulassungsverordnung Auswirkungen hat."