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Die letzten Medienmeldungen zeichnen ein sehr gutes Bild von der aktuellen Situation in Kroatien. Die Touristenmassen wälzen sich heuer nach Jahren der Stagnation wieder Richtung kroatischer Küste. Über die neue kroatische Regierung und ihre Politik - insbesondere auch im Hinblick auf die Behandlung der serbischen Minderheit - hört man in letzter Zeit viel Lob. Und dieses Lob für die Regierung ist teilweise durchaus berechtigt - es wurde z.B. das wichtige Gesetz zum Wiederaufbau geändert, so dass nun auch viele Mitglieder der serbischen Minderheit im Rahmen dieses Gesetzes beim Wiederaufbau ihrer Häuser unterstützt werden können. Auf die Frage, inwieweit dieser "gute Wille" auf den Druck der internationalen Gemeinschaft bzw. auf die Überzeugung der Regierung zurückzuführen ist, soll hier nicht weiter eingegangen werden.
Sehr gut - Kroatien scheint also über Nacht ein aufstrebendes friedliches Land ohne größere Probleme geworden zu sein. Was allerdings selten erwähnt wird, ist dass im Osten des Landes, in Ostslawonien, nach wie vor sehr große Spannungen bestehen. Immer noch ist die Lage in Ostslawonien zwischen rückkehrenden Kroaten und der serbischen Minderheit, in manchen Orten Mehrheit, sehr gespannt. Minendetonationen im Rahmen der Entminungsaktionen führen auch akustisch drastisch vor Augen, dass dieser Teil des Landes von einem tatsächlichen Frieden noch weit entfernt ist.
Der Krieg in Kroatien, der 1991 begann und in Ostslawonien erst mit der Rückführung dieses Gebietes unter kroatische Verwaltung 1998 wirklich beendet wurde, hinterließ hier besonders tiefe Spuren. Der Versöhnungsprozess zwischen rückkehrenden Kroaten und der serbischen Minderheit gestaltete sich in den letzten zwei Jahren als sehr schwierig.
Nach wie vor verlassen massenweise, insbesondere jüngere Serben, Ostslawonien um in Jugoslawien oder im Westen ihr Glück zu versuchen. Das bevorzugte Gesprächsthema ist im Regelfall wer, wohin und wie emigriert ist. Die schlechte allgemeine wirtschaftliche Lage, im Bezirk Vukovar beträgt die Arbeitslosenrate 37 Prozent, und offene Diskriminierungen gegenüber der serbischen Minderheit in allen Lebensbereichen machen ein Bleiben schwer. Die Jobsuche gestaltet sich für Serben äußerst schwierig, nach wie vor sind Serben Morddrohungen ausgesetzt, und der latente kroatische Nationalismus macht ein Bekenntnis zur eigenen serbischen Kultur und Sprache schwer. Der Schritt von diesen Feindseligkeiten zur offenen Gewalt ist oft nur ein kleiner - im Herbst wurde z.B. ein Serbe in Tenja am helllichten Tag von seinem kroatischen Nachbarn erschossen - die kroatischen Bewohner waren entrüstet - nicht weil ihr Nachbar einen Menschen umgebracht hatte - nein, weil dieser so dumm war dies am helllichten Tag vor aller Augen zu machen.
Auf der anderen Seite sitzt das Misstrauen auf Seiten der rückkehrenden Kroaten tief. Nachbarn die jahrzehntelang nebeneinander gewohnt haben gehen grußlos aneinander vorüber. Sie wurden in den Kriegsjahren 1991/92 unter großen Opfern vertrieben. Viele mussten mitansehen wie ihre serbischen Nachbarn zu Plünderern wurden. Die kroatische Propaganda der Kriegsjahre über die Serben als ein Volk plündernder und mordender Tschetniks tat ein übriges. Nicht gerade vertrauensbildend ist das Faktum, dass sich viele Mitglieder der serbischen Minderheit nach wie vor mehr mit der "Mutter" Serbien identifizieren und sich an deren Politik orientieren. Dies geht oft so weit, dass nicht wenige das Vorgehen Serbiens im Kosovo gutheißen.
Viele Rückkehrer wären bereit, sich einem Prozess der Versöhnung zu öffnen. Viele warten dafür sehnsüchtig auf ein Zeichen der Entschuldigung oder des Entgegenkommens von Seiten der serbischen Minderheit. Zu viele Grausamkeiten wurden verübt um kommentarlos zum alten alltäglichen Zusammenleben überzugehen. Fragen der, uns in Österreich so wohlbekannten, Unterscheidung zwischen individueller Verantwortung und kollektiver Schuld drängen sich auf. Daneben gibt es natürlich auch sehr viele kroatische Rückkehrer die ihren "Endsieg" über die Serben auskosten, mit der derzeitigen Lage durchaus zufrieden sind und an einem Prozess der Versöhnung zwischen den beiden Volksgruppen nicht interessiert sind .
All diese Rahmenbedingungen führen zu einer weiteren Absonderung und Spaltung der Volksgruppen die durch den getrennten Unterricht für serbische und kroatische Kinder auch staatlich unterstützt und gefestigt wird.
Neue, diesmal unsichtbare Mauern bestehen zwischen den ethnisch oft sauber getrennten Ortsteilen.
Eine Veränderung der Lage braucht Zeit und Unterstützung. Sowohl die kroatische als auch die serbische Seite werden einen Schritt machen müssen - einen Schritt in Richtung Öffnung, Toleranz, Dialog und Abkehr von nationalistischen Denkschemata. So wenig wie es in den meisten Konflikten eine schuldige und unschuldige Partei gibt so wenig kann ein Konflikt durch eine Partei alleine gelöst werden.
Eine wirksame und langfristige Lösung hängt aber meiner Meinung nach von einem Machtwechsel in Serbien ab. Erst dieser kann und wird ein Ende der vom Nationalismus geprägten Politik der 90er-Jahre bringen und neue langfristige Wege und Lösungen öffnen. Zu hoffen ist, dass bis dahin nicht der Großteil der jüngeren Serben emigriert ist und sich dieses Problem dadurch von selbst aus der Welt geschafft hat.
Thomas Traar ist Jurist und absolviert gerade im Rahmen der Österreichischen Friedensdienste seinen Zivildienst als Friedensdiener beim "Center for Peace, Non-violence and Human Rights" in Osijek. Thomas Traar nahm am "International Civilian Peace-keeping and Peace-building Training Program" am Friedenszentrum Stadtschlaining im Oktober 1999 und an einem Spezialisierungskurs im Juni 2000 teil.
Das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) ist ein privater, gemeinnütziger und parteiunabhängiger Verein zur Förderung von Friedensforschung, Friedenserziehung und Friedenspolitik. Schwerpunkte sind die Friedensuniversität und die Trainingskurse für zivile Konfliktbearbeitung.