Prof. Stafford Beer, der Begründer der Management-Kybernetik, ist am 23. August 2002 in Toronto verstorben. Beer hat für das Management der komplexen Probleme aller Organisationen ein Erbe hinterlassen, das sich in die großen paradigmatischen Durchbrüche in der Wissenschaft reiht. Mit seiner innovativen Arbeit, seinen zehn Büchern sowie über 200 Artikeln hat er Methoden, Modelle und Lösungen geschaffen. Weder die Wirtschaft noch die Gesellschaft werden darauf verzichten können.
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Stafford Beer wurde am 23. September 1926 in London geboren. Nach Studien in Philosophie, Psychologie und Mathematik und Militärdienst im Zweiten Weltkrieg, war seine erste Position in der Industrie die des Production Controllers bei United Steel. Unter seiner Leitung wurde die damals grösste Operations Research-Abteilung in der Industrie aufgebaut.
In seiner höchst seltenen Verbindung von hohen Positionen in der Wirtschaft und seiner wissenschaftlichen Lehr- und Forschungstätigkeit war Beer weltweit an vielen Universitäten aktiv. Seine Arbeiten waren die entscheidenden Grundlagen für die Entwicklung der St. Galler Systemorientierten Managementlehre und des St. Galler Management Modells. Als Berater war er auf Regierungsebene in 22 Ländern und für viele internationale Organisationen tätig.
Beer fand sich schon in den Fünfzigerjahren mit den Pionieren der ersten Generation von Kybernetikern zusammen. vor allem mit Norbert Wiener und Warren McCulloch, W. Ross Ashby, Heinz von Foerster, Walter Pitts und John von Neumann. Sie widmeten sich den Regulierungsvorgängen in komplexen Systemen, mit der Einsicht, dass die Prozesse von Anpassung, Stabilisierung, Steuerung, Regulierung, Gestaltung, Organisation und Evolution einen gemeinsamen Kern haben, nämlich "Communication and Control in the Animal and the Machine", wie Norbert Wiener es als Untertitel seines Buches "Cybernetics" 1948 formulierte.
Basis und Viable System
Beer stellte diese Besonderheiten der Kybernetik in verständlicher Sprache dar. Gleichzeitig zeigte er überzeugend die Bedeutung der neuen Wissenschaft für das Management aller Arten von Organisationen. Einer seiner vielleicht wichtigsten Beiträge war seine neue und strenge Theorie des Modellierens der Ganzheit komplexer Systeme, die Voraussetzung dafür, methodisch einwandfrei über die Ganzheitlichkeit von Systemen zu sprechen. Beer zeigt, wie man das Systemische an den Systemen zu verstehen hat, ohne in die Wortwolken des metaphysischen Holismus zu geraten.
Sein Viable System Model enthält nicht weniger als die Gesetzmässigkeiten der Lebensfähigkeit von Systemen jeder Art. Stafford Beer machte sie anwendungsfähig für die Praxis des effektiven Organisierens und Managements. In seinem letzten Buch legte er erneut eine radikal innovative Lösung für eines der brennendsten Probleme aller Organisationen vor: die optimale Nutzung von Wissen in der Organisation. Das sogenannte Team Syntegrity-Verfahren ist eine Methode der optimalsten Kommunikation und Nutzung der vorhandenen Intelligenz.
Systemische Welt
Die Mängel und die Brüchigkeit der dominierenden Managementvorstellungen sind unübersehbar. Es ist notwendig geworden, mit der Komplexität von Systemen anders als bisher umzugehen. Stafford Beer hat die Grundlagen dafür geschaffen. Er wurde für sein Lebenswerk international mit mehreren Ehrendoktoraten und zahlreichen hochrangigsten Auszeichnungen gewürdigt. Seine Arbeit wird auf seinen Wunsch hin durch das Cwarel Isaf Institute weitergeführt. Er war ein strenger Denker, vorbildlich in seiner Argumentation und bis zum Schluss unermüdlich mit den Fragen der wirksamen Organisation komplexer Systeme befasst, die er als zentral für das Überleben der Menschheit und ihr Wohlergehen ansah. Wer ihn persönlich kannte, weiss, dass er sich selbstlos in den Dienst der Verbesserung der condition humaine stellte.
Der Autor dieses Nachrufs, Prof. Dr. Fredmund Malik, ist Mitbegründer und Verwaltungsratspräsident des Management Zentrum St. Gallen.