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Nairobi - Als die ersten Panzer in Mushin anrollten, jubelten die Menschen. "Wir wollen wieder eine Militärregierung", rief ein Mann in dem von ethnischen Konflikten erschütterten Vorort der nigerianischen Wirtschaftsmetropole Lagos. Und ein anderer erklärte: "Diese Demokratie ist nicht gut. Sie hält ihre Versprechen nicht." Die Gemetzel zwischen Haussa und Yoruba in Mushin sind nur das jüngste Symptom der kränkelnden Regierung von Präsident Olusegun Obasanjo. Spätestens seit dem Inferno in einem Munitionsdepot am 27. Jänner steckt sie nach Ansicht von Beobachtern in ihrer tiefsten Krise.
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Seit Obasanjos Amtsantritt im Mai 1999 ist das bevölkerungsreichste afrikanische Land immer wieder Schauplatz von Massakern gewesen. Rund 10.000 Menschen kamen in ethnischen oder religiösen Konflikten ums Leben, seit der ehemalige General das Land nach 15 Jahren Militärdiktatur zurück zu einer Zivilregierung geführt hat.
"Die Regierung dieses Landes ist ein Tanz auf dem Vulkan", schrieb eine nigerianische Tageszeitung kürzlich über den bevölkerungsreichsten Staat des Kontinents. Von den Wüstenregionen im Norden bis hin zu den waldigen Gebieten im Süden des Landes leben rund 120 Millionen Menschen, aufgeteilt in bis zu 250 Stämmen.
Doch nach Meinung von Beobachtern geht es bei den meisten Konflikten weder um ethnische Zugehörigkeit noch um Religion, sondern um den Zugang zu einem besseren Leben: sei es in Form von fruchtbarem Land, Jobs oder politischer Macht. Die Bevölkerung des reichen Ölstaates verarmt zunehmend. Immer weniger haben die Möglichkeit, sich zu bilden. Immer mehr frustrierte, arbeitslose Jugendliche dominieren die Unterschicht in den Städten.
Die moslemischen Haussa aus dem Norden und die christlichen oder animistischen Yoruba aus dem Süden sind die größten Volksgruppen des Landes. Obasanjo hatte gute Voraussetzungen, sie zu verbinden: Er stammt zwar von den Yoruba ab, hielt jedoch stets gute Kontakte zu Vertretern der nördlichen Eliten um den ehemaligen Militärdiktator Ibrahim Babangida (1985 bis 1993). Dieser sponserte einst Obasanjos Kandidatur. Doch die Zeiten, meinen Beobachter, haben sich geändert: Babangida ist Obasanjos politischer Rivale geworden. Seine Anhänger verlangen seit längerem die Zulassung als Partei.
Die Bevölkerung des Nordens dominiert traditionell die nigerianische Armee. Daran hat sich bis heute nichts geändert. "Immer wieder, wenn es brenzlig wird, fällt Obasanjo nichts anderes ein, als die Panzer auf den Plan zu rufen", sagte kürzlich Menschenrechtler Olisa Agbakoba in Lagos. Militärs schlugen gleich einen Monat nach seinem Amtsantritt den ersten Aufstand im Niger-Delta blutig nieder. Sie machten Unruhen in Kano, Jos und Benue ein Ende. Und nun schlagen sie gemeinsam mit der Polizei in Lagos zu.
Dort ist Obasanjos Ruf seit der Explosionskatastrophe vor zehn Tagen in einem Munitionslager tief gesunken. Das Depot, inmitten eines Wohngebiets im Stadtteil Ikeja, war während seiner ersten Amtszeit als Juntachef (1976-79) gebaut worden. "Er wusste um den Sicherheitszustand. Er wusste um die Gefahren für die Bevölkerung", kritisierte ein Vertreter der Armee.
Menschenrechtler gehen davon aus, dass es sich bei der verheerenden Explosion, die mindestens 1000 Menschen das Leben kostete, um einen Sabotageakt handelt.
Mindestens 100 Tote bei den jüngsten Unruhen
Bei den am Wochenende ausgebrochenen Unruhen in Lagos sind nach Angaben des Roten Kreuzes mindestens hundert Menschen getötet worden. Mehr als 430 Menschen seien in den vergangenen vier Tagen wegen ihrer Verletzungen in Krankenhäusern behandelt worden, sagte der Präsident des nigerianischen Roten Kreuzes, Emmanuel Ijewere, am Dienstag in Lagos. Dort war es wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen der Haussa und der Yoruba gekommen.