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In Opposition

Von Thomas Köhler

Gastkommentare

Im Kopf Jurist und im Herzen Historiker - Ex-Vizekanzler Erhard Busek feiert heute seinen 80. Geburtstag.


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Vielleicht verkörpert Erhard Busek eine Art geistige Opposition. Allerdings nicht in destruktiver, sondern in konstruktiver Hinsicht. Sei es in seiner katholischen Kirche oder seiner christdemokratischen Partei, sei es in Österreich oder in Europa. Seine durchgehende Linie war dabei die des Intellektuellen, der sich schwertat und schwertut mit allseits Blödem. Als er 1995 als Vorsitzender der ÖVP und, parallel dazu, als Vizekanzler der Republik - ein Wort, das ihm in seiner prinzipiellen Bedeutung viel gilt - zurücktrat, tat er dies mit dem Ratschlag an seinen Nachfolger, möglichst niemanden im Staat merken zu lassen, dass er "g’scheiter" sei. "Des wollen’s net!" Hatte er sich aber selbst daran gehalten?

Unbestritten ist, wie recht er hatte und hat in einer Alpenrepublik, der der Weltgeist einer Donaumonarchie - verkörpert par excellence in Wissenschaft und Kunst in Wien um 1900 - fremd blieb. Busek ist im Kopf Jurist und im Herzen Historiker. Worunter er als Politiker in Partei und Staat litt, ist also - Joseph Roths Werk ähnlich - der Kleingeist des "Rests" nach Saint Germain. Tiefen- und höhenpsychologisch gesprochen bildete "Mitteleuropa" als Sinnbild für ihn eine Kompensation verlorener innerer und äußerer Größe: weniger der Realität als der Idealität. Das war und ist sein Traum. Dass dieser nicht einmal nach 1989 in Erfüllung ging, grämt ihn bis heute.

Bildung und Kulturals Tor zur Welt

Als Junger sozialisiert wurde Busek im Wien der Nachkriegszeit. Seine Mutter war Hausfrau, sein Vater Baumeister. Tatsächlich: Damals ging es um Wiederaufbau, indem man den äußeren und inneren Schutt entfernte, der Österreich belastete. Außen waren die Straßen und Plätze voller Ruinen und Staub der ehemals herrlichen Stadt. Man räumte weg, manches baute man wieder auf, vieles riss man ab. Was für die Stadt galt, galt auch für den Staat. Innen verbot man sich die Erinnerung an den Nationalsozialismus, als hätte es ihn und Wiens beziehungsweise Österreichs Rolle darin nie gegeben. Was Sigmund Freud "Verdrängung" nannte, wurde kollektives Unbewusstsein.

Busek, längst politisch engagiert, war nicht wohl dabei. Aber er stand - ebenso wie der von der SPÖ entfremdete Viktor Frankl, der mehrere Konzentrationslager überlebt hatte - nicht auf der Seite des "Antifaschismus" (ein Wort, das er nicht mag), der Österreich gerade Mitte der 1980er Jahre zum Mittäter erklärte. So lehnte Busek eine kollektive Schuld des Staates zwar ab, befürwortete aber dessen kollektive Verantwortung - eine Haltung, worin Historiker und Jurist eins wurden. Darin stimmte er außerdem mit seinem Pendant in den 1990ern, SPÖ-Chef und Kanzler Franz Vranitzky, überein. Mit ihm feierte er seinen größten Triumph: den Beitritt zur Europäischen Union. Womit ihm - einer Katharsis für österreichische Geschichte und Politik gleich - das Kleine und Kleingeistige zugunsten des Großen und Großgeistigen überwunden schien! Irrte er?

Ein Tor zur Welt erkannte Busek auch in Bildung und Kultur. Als Wissenschaftsminister nahm er - gegen viele Widerstände - den Staat zurück und stärkte die Autonomie der Universitäten, führte im europäischen Kontext die Fachhochschulen ein und verhinderte zugleich, dass jeder Bürgermeister sofort eine bekam, modernisierte die Museen und förderte in der Tradition von Monsignore Otto Mauer, einem Vorbild seiner Jugend, den Dialog mit Künstlern. Was für den Bundespolitiker galt, galt auch für den Wiener Landespolitiker. Das unter den damaligen "Sozialisten" noch graue Wien wurde durch seine Impulse bunter. Typisch war, dass letztlich SPÖ und Grüne seine Ideen übernahmen, während die klientelistischen Bünde der Wiener ÖVP den intellektuellen Busek als deren Obmann absetzten. Der Parteitag von Oberlaa war ein "Waterloo".

Universaler Katholikund Christdemokrat

Was nicht viele ahnen, aber wichtig ist, um ihn als Oppositionellen ebenso im äußeren wie im inneren Konflikt zu verstehen: Was die katholische Kirche betrifft - seine Kirche nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen -, so wirft sich der von der Ära Kardinal Franz Königs geprägte Busek bis heute vor, Kurt Krenn als Bischof durch einen Widerspruch im Ministerrat nicht verhindert zu haben. Ein Minister quasi guten Wissens und schlechten Gewissens? Busek dachte und fühlte dabei als Zeuge des Zweiten Vatikanischen Konzils, worin ein Weltgeist gegen den Dorfgeist im Klerus angetreten war und Papst Johannes XXIII. die für Busek bestimmenden Worte gesprochen hatte, "die Fenster zu öffnen".

Busek ist also Katholik im Wortsinn: universal und nicht atomar. Zugleich ist er Christdemokrat: In dem unter seinem Vorsitz beschlossenen Grundsatzprogramm betonte die ÖVP so stark wie nie zuvor, ähnlich wie die CDU Christdemokratie im Dreiklang aus konservativen, liberalen und sozialen Strömungen zu begreifen. Nolens volens war Busek damit näher an Josef Klaus, dessen Partei er als Parlamentssekretär gedient hatte. Schon jener hatte das Bekenntnis zur Christdemokratie forciert, übrigens ebenso wie eine Öffnung in Richtung Europäischer Gemeinschaft und über den Eisernen Vorhang hinweg. Wie Busek war auch Klaus eine Art fremder Oppositioneller in den eigenen Reihen gewesen.

Ein weltoffenerBonvivant

Weltoffenheit garantierte Busek gleichfalls als Präsident des Internationalen Forums Alpbach. Seine Kontakte schlossen - was durchaus als Kritik verstanden werden kann und soll - nicht nur den Westen des Kontinents, sondern auch dessen Mitte und Osten ein. Dass er schon im ehemaligen Ostblock Beziehungen mit Dissidenten unterhalten hatte, als es ÖGB und SPÖ noch unterlassen hatten, half ihm dabei ebenso wie in seiner jetzigen Rolle als renommierter Vortragender und langjähriger Präsident des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa immens.

Zu guter Letzt ist Busek ein Bonvivant: Genuss ist er nicht abgeneigt, etwa einem Glas Rotwein (nicht Weißwein). Heute wird er 80 Jahre jung. Stoßen wir auf ihn, den Widersprüchlichen, an und wünschen wir ihm "pro-sit ad multos annos" - und die Gabe der Milde, doch noch.