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In Ordnung!

Von Julia Urbanek

Reflexionen
© Corbis

Die Wohnung als Visitenkarte der eigenen Persönlichkeit. Über Psychologie, Chaosköniginnen und Ordnungscoaches.


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Zeig mir, wie Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist. Die Ordnung in den eigenen vier Wänden sagt viel über die darin lebenden Bewohner aus. Die einen sortieren ihre akkurat gebügelten Hemden nach Farbe, bei den anderen quillt der Schmutzwäschekorb über. Die einen stellen mit Speiseresten in der Küche regelrecht biochemische Experimente an, die anderen wischen auch nur den kleinsten Wasserfleck gleich panisch auf. Am Schreibtisch offenbaren sich dann die Ordnungspersönlichkeiten: Einer schwört auf Turmbildung und stapelt Papiere, Zeitungen und Rechnungen gen Himmel - ein anderer setzt auf penible Ordnungs- und Hängesysteme. Leben wie im Möbelschauraum oder im totalen Chaos - der Idealzustand liegt wie meist irgendwo dazwischen.

Was sagt eine Psychologin zur These, dass innere und äußere Ordnung zusammenhängen? "Aus psychologischer klinischer Sicht besteht keine direkte Korrelation. Ein Einfluss mag in Einzelfällen bestehen", erklärt Karin Alt. Als Psychologin trennt sie nicht in ordentlich und unordentlich, sondern in "unauffällig, auffallend und krankhaft". Diese Kategorisierung kann sowohl fehlenden Ordnungssinn, aber auch übertriebene Ordnungssucht betreffen. Grundsätzlich "ist ein psychisch gesunder Mensch in der Lage, die Ordnung und Organisation seines Alltags von sich, seiner Wohnung und seinem Umfeld zu managen", sagt Karin Alt. Krankhaft ist Ordnung oder Unordnung, "wenn die Person ihr Ordnungsverhalten nicht mehr selber ändern kann" und sich daraus Einschränkungen im Leben ergeben: "Ein Extrembeispiel für Unordnung wäre hier sicher das Messie-Syndrom", erklärt die Psychologin.

Der Name Messie-Syndrom kommt vom englischen Wort "mess" für Unordnung und wird auch Vermüllungssyndrom genannt. Darunter leiden Menschen, die nicht in der Lage sind, ihren Wohnraum in Ordnung zu halten und auch sonst Probleme haben, ihren Alltag zu bewältigen. Messies können nicht zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen unterscheiden und häufen so immer mehr in ihrer Wohnung an, oft leben Messies inmitten von Kisten und Zeitungsstapeln und können sich gerade einen schmalen Weg durch das Chaos bahnen. Rechnungen und amtliche Briefe landen meist ungeöffnet in Schubladen, Termine werden nicht eingehalten und so wird auch der soziale Druck für Messies immer größer. Den Begriff "Messie" hat die US-Amerikanerin Sandra Felton geprägt. Die Mathematiklehrerin soll selbst über 20 Jahre lang im Chaos gelebt haben. Der Wendepunkt kam, als sie über Wochen hinweg nicht bemerkte, dass ihr Küchenabflussrohr ein Leck hatte. Die vielen alten Zeitungen, die sie im Schrank darunter aufbewahrte, hatten das Wasser aufgesaugt. Sandra Felton gründete "Messies Anonymous", und aus der ehemaligen Chaotin wurde eine eifrige Ratgeber-Autorin. "Im Chaos bin ich Königin" heißt ihr beliebtestes Werk, andere "Das Chaos ist besiegt!" oder "Lass uns das Chaos überleben", für Menschen, die mit Messies zusammenleben.

"Im Extremfall Vermüllungssyndrom können schließlich größere Bereiche der Wohnung gar nicht mehr betreten werden, bleiben in Extremfällen nur mehr enge Fußwege zwischen großen Haufen, Kisten und Säcken. Spätestens dann treten häufig auch hygienische Probleme auf, und täglich steigt das Risiko, dass das Problem nicht mehr länger vor der Umwelt verborgen werden kann", schreibt der Psychotherapeut Richard L. Fellner in einem Artikel. Selbsthilfegruppen sprechen von 15 Prozent Messies in Österreich, Fellner betont aber, dass die Messies im Sinne eines psychologischen Störungsbildes eher 0,5 bis 3 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Von diesen erreichen wiederum nicht mehr als 5 Prozent ein regelrechtes Vermüllungsstadium, wie man es auch aus Fernsehberichten kennt. "Bei der Therapie geht es übrigens, das mag ein wenig überraschen, nicht in erster Linie darum, das Symptom (z.B. mangelhafte Sauberkeit in der Wohnung) in kürzestmöglicher Zeit zu beseitigen, sondern vor allem, den betroffenen Menschen in die Lage zu versetzen, sich selbst besser zu organisieren und ihn seelisch so zu stärken, dass er nicht nur innerlich zupackender wird, sondern mehr und mehr auch in seinem Lebensumfeld entsprechend aktiv werden kann", meint Fellner.

Die Ratgeber-Autorin Sandra Felton rät auf ihrer Homepage www.messies.com zu einem Fünf-Stufen-Programm für Chaoten, die Ordnung in ihr Leben bringen wollen: 1. Ein kraftvoller Start in den Tag - Frühstück und Spaziergang inklusive. 2. Angewohnheiten verändern, etwa mit der 30-Sekunden-Regel: Jede Tätigkeit, die nicht länger als 30 Sekunden in Anspruch nimmt, wird sofort erledigt. Und: Alles was hervorgeholt wird, soll nach Gebrauch auch wieder verstaut werden. 3. Die Unordnung in Angriff nehmen. 4. Sich von Freunden, Familie oder professionellen Organisationscoaches helfen lassen. 5. Die Ordnung beibehalten - etwa mit regelmäßigen 10-minütigen Aufräumsessions.

Ordnungscoaches wie Christiane Mühmel helfen nicht nur Messies, sondern auch gestressten Müttern und Managern, ihre Wohnung, ihr Haus oder ihren Arbeitsplatz in Ordnung zu halten. Die Deutsche unterstützt mit ihrer Firma "Raum und Zeit" beim Aufräumen und packt mit an. Sie mistet mit ihren Kunden aus, erstellt neue Ordnungssysteme für sie und hilft ihnen mit regelmäßiger Betreuung auch beim Ordnung Halten. Ihre Kunden sind dabei ganz unterschiedlich - etwa Freiberufler, Lehrer oder Menschen, die zuhause arbeiten, oder auch Mütter und Väter, die sich Hilfe bei der Hausarbeit holen. "Lustigerweise habe ich oft mit ,Perfektionisten zu tun", erzählt Christiane Mühmel dem "Wiener Journal". "Diese Menschen haben sehr hohe Ansprüche, die sie dann nicht erfüllen können und es daher ganz bleiben lassen. Ansonsten habe ich viele Ordnungstypen von Kunden: Da ist der Geschäftsmann, der einfach keine Zeit für diese Themen hat und sich daher eine Profi holt, der Lehrer mit einem unglaublich weit gefächerten Interessengebiet, die Hausfrau, die einfach vor lauter Bäumen, sprich: Aufgaben, den Wald nicht mehr sieht, oder Menschen, die sich schwer tun, sich von Dingen (vor allem von überflüssigen) zu trennen und alles aufheben."

Mühmel sieht in ihrem Job viele verschiedene Lebensräume. Hat sie gelernt, in den Ordnungsstrukturen zu "lesen" und auf bestimmte Charaktere zu schließen? "Ich bin ja kein Psychologe. Aber in der Tat hat meine Tätigkeit auch viel mit Psychologie zu tun. Die Aussage, dass es im Inneren eines Menschen meist so aussieht wie in seinen vier Wänden, birgt sicher viel Wahrheit. Dass Menschen, die sich mit allen möglichen Dingen umgeben, die sie weder brauchen noch mögen, nicht gerne loslassen bzw. Probleme mit der Trennung von Werten, Erinnerungen oder auch Erwartungen haben, ist meist offensichtlich." Was ist es, das Menschen dazu veranlasst, die Ordnung in ihrem Leben ein wenig schleifen zu lassen? "Das ist oft ein schleichender Prozess. Es gibt meistens einen Anfang: eine leere Wohnung, ein neues Tätigkeitsfeld... Wenn man dann noch nicht genau weiß, was man eigentlich strukturieren soll, ist es schwer, eine passende Struktur zu sehen. Außerdem nimmt man das auch alles nicht so ernst, denn man hat ja noch den Überblick und findet noch alles irgendwann und irgendwie. Schließlich beherrscht ein Genie sein Chaos, viele meiner Kunden sind diesbezüglich wirklich Genies! Irgendwann schiebt man dann nur noch Berge von Aufgaben vor sich her und das belastet oft so stark, dass es schwer ist, die Motivation aufzubringen, den Anfang zu machen." Den Anfang machen dann Ordnungscoaches wie Christiane Mühmel und krempeln gemeinsam mit ihren Kunden die Ärmel auf. "Wichtig ist immer, die Bereiche zu finden, die als größte Belastung angesehen werden um somit eine schnelle Erleichterung und Befreiung zu erreichen", sagt Mühmel. Es sei wichtig, mit anzupacken und nicht nur gute Ratschläge zu geben. "Meist wissen die Menschen selber, wie es besser wäre, aber einem motivierten ,Partner zu folgen und mitzumachen ist dann doch viel leichter, als sich selber einen Tritt zu geben."

Dann bleibt nur noch eine Frage: Wie kann die neugewonnene Ordnung auch von Dauer sein? Viele Ratgeber und Coaches arbeiten mit bestimmten Strukturen und Ordnungsmittel, die dabei helfen, Ordnung langfristig zu bewahren. Heißt die Schublade einmal Bestecklade, wird sie weniger schnell zweckentfremdet, gibt es einen eigenen Ordner für die Zeitschriftensammlung, ist es weniger wahrscheinlich, dass die Hefte in der ganzen Wohnung herumkugeln. Meistens ist Stauraum das Zauberwort - und wohl auch ein wenig Disziplin.

Info.

www.raum-u-zeit.de

www.messies.com

buchtipp.

Sandra Felton: Im Chaos bin ich Königin. Überlebenstraining im Alltag. Brendow Verlag.