Das Problem von Gymnasium vs. Hauptschule ist ein städtisches. | Österreich steht in Europa mit der frühen Selektion nahezu allein da.
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Dialogue de sourds, Dialog zwischen Tauben, so würden die Franzosen das bezeichnen, was sich in Österreich seit langem zum Thema Gymnasium und Gesamtschule abspielt. Auf der einen Seite Gesamtschul-Fundis, auf der anderen Seite die - nicht immer uneigennützigen - dogmatischen Verfechter des Gymnasiums, sprich einer Segregation der Zehnjährigen in Hauptschüler und Gymnasiasten.
In Österreich ist höhere Schulbildung weitgehend erblich. Geht man davon aus, dass angeborene Intelligenz in der Bevölkerung halbwegs gleich verteilt ist, folgt zwingend, dass Österreich seine zentrale Ressource, nämlich das geistige Potenzial seiner Kinder und Jugendlichen, nicht adäquat entwickelt.
Einerseits erhalten intelligente Kinder in "abgesandelten" städtischen Hauptschulen eine inadäquate Ausbildung, andererseits werden weniger begabte Kinder mit hohem Einsatz an Nachhilfe durch Familie oder externe Anbieter zur Matura getrieben.
Das Problem ist ein städtisches, in Wien besonders ausgeprägtes und Ergebnis bildungspolitischer Versäumnisse. Wegen höherer Anteile von Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache und anderer Sozialisation als in ländlichen Gebieten sind die Ausbildungsbedingungen und damit die Ausbildungserfolge in einzelnen Hauptschulen so schlecht, dass auf das Wohl ihrer Kinder bedachte Eltern (selbstverständlich) alles tun, um ihnen das Schicksal einer "Sackgassenlösung Hauptschule" zu ersparen. In ländlichen Gebieten mit intakten Hauptschulen stellt sich das Problem nicht, daher ist die "Gesamtschule" dort auch kein Gottseibeiuns.
Die überwältigende Mehrheit der Bildungsexperten stimmt darin überein, dass eine Trennung der Bildungswege mit zehn Jahren zu früh ist, da in der Pubertät noch erhebliche Entwicklungssprünge oder Entwicklungsbrüche eintreten können. Österreich steht in Europa mit der frühen Selektion nahezu allein da.
In Summe hat Österreich ein überteuertes Schulsystem mit durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Ergebnissen, wie auch die Pisa-Studien zeigen (pikanterweise nimmt Österreich - mit Ausnahme Oberösterreichs - an der nächsten Studie nicht teil). 27 Prozent der 15-Jährigen weisen eine Leseschwäche auf. Österreich liegt damit in Europa an drittletzter Stelle vor Bulgarien und Rumänien. Die Wirtschaft findet nicht genug Lehrlinge mit intakten Basisfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Es ist also Feuer auf dem Dach, wenn Österreich seine Prosperität und die wirtschaftliche Zukunft seiner Jugend sichern will.
Die flächendeckende gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen kann allerdings nur ein langfristiges Ziel sein. Zuerst müssen die städtischen Hauptschulen mit hohem Einsatz an materiellen Ressourcen und Lehrer-Engagement sowie durch entsprechende Bildungsmaßnahmen im Vorschulalter saniert werden.
Der Pfad dorthin ist kein linearer, sondern führt über Trial and Error im Rahmen von Schulversuchen. Die Bildungspolitik auf eine repetitive Beschwörung der achtjährigen AHS zu reduzieren, ist zu wenig.