![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Militante Islamisten nehmen das Land ins Visier. | USA angeblich schon 2009 auf Bin Ladens Anwesen hingewiesen. | Neu Delhi. In der sonst ruhigen Nachbarschaft in Bilal Town im pakistanischen Abbottabad ist es mit dem Frieden dahin: Sicherheitskräfte sperren weiterhin den letzten Zufluchtsort von Osama bin Laden ab, die Polizei durchsucht die Gegend. Mindestens elf Menschen wurden vorübergehend festgenommen, berichten pakistanische Zeitungen. Die meisten von ihnen wohnten direkt neben dem Haus von Bin Laden. Auch zwei Krankenschwestern, die ahnungslos Osamas Kindern jüngst eine Polio-Impfung verabreichten, kamen in Haft, ebenso wie der alten Milchmann, der die Kolonie und wohl auch unwissentlich den Al-Kaida-Chef und seine Familie versorgte.
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Doch während Pakistans Polizei in Abbottabad noch nach Spuren sucht, bemühen sich Politik und Militär, die Operation Bin Laden so tief wie möglich zu hängen. Im Quetta, wo am Montag ein paar Hundert Demonstranten lautstark Rache an Amerika für den Tod Bin Ladens gefordert hatten, bemühte man sich sogleich um eine Beruhigung der Lage. Auch ein Protestmarsch der verbotenen islamistischen Jamat-u-Dawa in Pakistans Hafenstadt Karachi am Dienstag wurde von der Polizei diskret beendet.
Die Tatsache, dass Amerikas Staatsfeind Nummer eins auf pakistanischem Boden von US-Kräften getötet wurde, bringt enorme Gefahr für den Atomstaat Pakistan. Denn nur wenige glauben der offiziellen Version, wonach Pakistan an der Aktion nicht beteiligt war.
Komplizenschaft auf bestimmten Ebenen
Talat Masud, ein hoher pakistanischer Militär im Ruhestand, vermutet, dass Teile des Sicherheitsapparates Osama bin Laden geschützt haben: "Ich denke, es gibt wahrscheinlich eine Komplizenschaft auf bestimmten Ebenen, sonst würde das unmöglich sein", sagte der Ex-General der britischen Zeitung "Telegraph".
Der Staatssekretär im Außenministerium, Salman Bashir, sagte am Mittwoch der britischen BBC, dass Pakistan schon im Jahr 2009 die USA über das Anwesen in Abbottabad als mögliches Versteck Bin Ladens informiert habe. Es sei aber damals keinesfalls klar gewesen, dass sich der Terrorchef dort aufhalte, und es habe "Millionen" andere mutmaßliche Verstecke gegeben. CIA-Aussagen, die pakistanischen Behörden seien nicht im Voraus über den Angriff auf Bin Laden informiert worden, weil die Gefahr bestanden habe, er könne gewarnt werden, bezeichnete Bashir als "beunruhigend".
Der pakistanische Regierungschef Yousuf Raza Gilani wiederum machte die Geheimdienste weltweit für die jahrelange vergebliche Suche nach Bin Laden verantwortlich. Alle Geheimdienste, auch die amerikanische CIA hätten in Teilen versagt.
Zwar bemühen sich die USA, das Engagement Pakistans herunterzuspielen, und Pakistan selbst spielt den Blamierten, der den Top-Terroristen auch direkt unter seiner Nase nicht bemerkt hat, doch die Angst vor der Rache Al-Kaidas ist groß. Der Preis, den Pakistan nun zahlen muss, könnte hoch sein. Schließlich waren es vermutlich die Pakistanis, die den "Terrorfürsten" am Ende ans Messer lieferte. "Wurde er verraten? Natürlich!", schrieb Robert Fisk im britischen "Independent".
Die pakistanischen Taliban (TTP) schworen gleich nach Bekanntgabe der Tötung des Top-Terroristen durch ein US-Killerteam Vergeltung: Sie erklärten Pakistan zum Feind Nummer eins und die USA zur Nummer zwei.
Die TTP hat in den letzten Jahren zahlreiche schwere Terroranschläge in ganz Pakistan verübt. Doch nun könnte alles noch schlimmer kommen: Bisher kämpfen nur etwa zehn Prozent der Taliban gegen Pakistan: Die große Mehrheit der Aufständischen bekriegt bislang die US- und Nato-Truppen in Afghanistan, mit dem Ziel, die fremden Soldaten vom Hindukusch zu vertreiben.
Gefahr der Einigung der Terrorgruppen
Der Tod Bin Ladens könnte die beiden Gruppen nun vereinen. Die strukturelle Umbildung von Al-Kaida 2006 hat den Taliban in Pakistan und Afghanistan neuen Auftrieb gegeben. Auch der Tod des Al-Kaida-Gründers könnte der islamistischen Terror-Bewegung nun neue Kraft geben. Die Ziele sind offensichtlich: Pakistan, Indien und der Westen. Und die Pakistanis fürchten, sie könnten die Ersten in der Schusslinie sein. Ein terroristischer Feuersturm könnte das labile Land mit Atomwaffen und einer Armee mit mehr als einer halben Million Soldaten noch weiter destabilisieren.