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In Portugal ist Dankbarkeit keine politische Kategorie

Von Paul Mychalewicz

Gastkommentare
Paul Mychalewicz ist Historiker, AHS-Lehrer für Englisch und Geschichte sowie Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Wien.
© privat

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Gestärkt nach der Parlamentswahl arbeitet Portugals sozialistischer Premier Antonio Costa derzeit an die Bildung einer neuen Regierung. Als Chef der klar stärksten Partei benötigt er bloß die Unterstützung einer Kleinpartei. Die Kommentatoren unterschiedlichster Medien schienen sich in der Beurteilung einig, dass damit die erfolgreiche Regierungszeit nach einer schweren wirtschaftlichen Krise an den Wahlurnen belohnt worden sei. Von manchen Journalisten wurde diese linke Minderheitsregierung geradezu als erfolgreiches Gegenmodell zu den in vielen Ländern schwer geschlagenen sozialdemokratischen Parteien gesehen.

Bedauerlicherweise wurde aber sogar in Qualitätsmedien die längere zeitliche Dimension außer Acht gelassen, woraus sich ein höchst unvollständiges Bild der politischen Entwicklung in Portugal ergab. Der nicht erzählte Teil der Geschichte besteht aus der Arbeit der Vorgängerregierung. Diese bürgerliche Regierung unter Passos Coelho setzte ab 2011 wesentliche Reformen um, die nach der Schuldenkrise von der EU und vom Internationalen Währungsfonds verlangt worden waren. Bei der Neuwahl 2015 verlor Coelho die absolute Mehrheit. Der Versuch, mit einer Minderheitsregierung im Amt zu bleiben, scheiterte am Misstrauensvotum der Sozialisten und zweier weit links stehender Kleinparteien. Costa kam an die Macht, profitierte von den bereits beschlossenen Reformen und dosierte die Maßnahmen so, dass er seine Unterstützer im Parlament bei der Stange halten konnte.

Es kann jedoch keineswegs als Regel gelten, dass bürgerliche Parteien notwendige Reformen vorantreiben und die linke Opposition davon profitiert. Ein bemerkenswertes Gegenbeispiel lieferte Deutschland. Ex-Kanzler Helmut Kohl wird wohl als großer Europäer in die Geschichte eingehen, aber - insbesondere wegen seiner letzten Amtszeit von 1994 bis 1998 - nicht als großer Reformer. Seinem sozialdemokratischen Nachfolger Gerhard Schröder kann man sicher einiges vorwerfen - etwa seinen Lebensstil und seine Nähe zur russischen Regierung -, nicht jedoch seinen Mut zu wirtschaftlichen Veränderungen. Seine 2003 bis 2005 vorangetriebene Agenda 2010 kam seiner konservativen Nachfolgerin Angela Merkel zugute, er aber verlor die Bundestagswahl 2005, wenn letztlich auch ziemlich knapp. Merkel wird wohl eher wegen ihrer vermittelnden Tätigkeit auf EU-Ebene in Erinnerung bleiben, nicht aber wegen ihres Reformeifers.

Reformer und damit auch bei den nächsten Wahlen Gescheiterte finden sich offensichtlich sowohl rechts wie auch links der Mitte. Wolfgang Schüssel betrieb zwar keine Agenda wie Gerhard Schröder, seine - ebenfalls knappe - Wahlniederlage 2006 war aber, von persönlichen Angriffen im Wahlkampf abgesehen, auch der zuvor beschlossenen Pensionsreform geschuldet. Welchen Rat sollte man also Regierenden geben? Nun, sie sollten überzeugt sein, dass Entscheidungen in einer Demokratie nie endgültig sind. Es bleibt immer die Hoffnung auf die übernächste Wahl.