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Mitterlehner: "Wir müssen die Bürger auf eine Rezession vorbereiten." | "Ende der Krise nicht erkennbar." | Privatisierungen derzeit kein Thema. | "Wiener Zeitung": "Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, aber glaubt an dieses Österreich", erklärte Bundeskanzler Leopold Figl den leidgeprüften Österreichern 1945. Was würden Sie angesichts der Wirtschaftskrise den Österreichern heuer zu Weihnachten sagen? | Reinhold Mitterlehner: Wir können uns alle nur bemühen, die international bereits spürbare Krise mit für Österreich stimmigen Maßnahmen zu bewältigen. Das Hauptaugenmerk muss aber auf internationalen Aktionen liegen. Grundsätzlich würde ich es nicht so dramatisch formulieren wie Figl, aber zweifellos müssen wir die Bürger auf eine Rezession vorbereiten.
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Sehen Sie bereits Licht am Ende des Tunnels?
Nein, derzeit ist ein Ende der Krise nicht ersichtlich. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die internationalen Maßnahmen greifen, dann dreht sich die Konjunktur in sechs Monaten wieder zum Besseren; oder wir erleben weitere Zusammenbrüche großer Konzerne und Banken - dann wird sich die Lage weiter verschärfen. Die Konsequenz wäre eine Jahre dauernde Krisenphase, wie sie Japan in den 90ern erlebte.
Wann werden wir wissen, ob die heimischen Konjunkturpakete greifen?
Im ersten Halbjahr 2009 sollte man das abschätzen können. Gegebenenfalls müssen wir über weitere Schritte nachdenken, dazu ist jetzt aber noch zu früh.
Ihr Ministerium verliert die Arbeitsmarktagenden an das Sozialministerium. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit ein Vor- oder ein Nachteil?
Natürlich ist man nie glücklich, wenn man Kompetenzen verliert, aber grundsätzlich war es zuvor so, dass der Wirtschafts- und Arbeitsminister mit dem Sozialminister das Einvernehmen suchen musste, jetzt ist es eben umgekehrt. Wir sitzen in einem Boot, zwar nicht parteimäßig, aber inhaltlich.
Praktischerweise logieren Sie ja jetzt mit Ihrem ehemaligen Sozialpartner-Gegenüber und dem nunmehrigen Sozialminister Rudolf Hundstorfer im selben Haus.
Das stimmt, aber noch müssen wir nicht im gleichen Zimmer wohnen.
In den kommenden Monaten muss die Entscheidung fallen, ob Österreich den Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus den östlichen EU-Nachbarstaaten öffnet.
Wir versuchen mit Fachkräfteverordnungen den Arbeitsmarkt schrittweise zu öffnen. Die EU könnte damit zwar keine Freude haben, aber angesichts steigender Arbeitslosigkeit ist das eine politische Frage.
Rechnen Sie mit EU-Klagen?
Das ist möglich. Es ist nicht meine Absicht, es darauf ankommen zu lassen.
Angesichts der zahllosen staatlichen Hilfspakete könnte man den Eindruck gewinnen, die Devise, wonach Privat besser ist als Staat, ist Vergangenheit.
Auch die jetzige Krise darf nicht als Rechtfertigung für Verstaatlichungen herangezogen werden. Insbesondere im Produktionsbereich kann kein Zweifel bestehen, dass die Privatwirtschaft besser funktioniert. In der derzeitigen Krisensituation hat jedoch der Staat ganz einfach ein besseres Haftungspotenzial. Dahinter verbirgt sich aber keine ideologische Zäsur.
Aber viele andere sehen es genau so.
Und das halte ich eben für falsch.
Schließen Sie aus, dass der Staat weiteren Unternehmen unter die Arme greift?
Wenn, dann würde ich es nicht als Systementscheidung werten, sondern als Krisensymptom. Ich hoffe, aber, dass sich diese Frage nicht stellt. Wir müssen zwischen nötigen Strukturbereinigungen und vertretbaren Haftungszusagen trennen. Die Wirtschaft kann nicht über Verstaatlichungen gerettet werden.
In den USA wird hitzig über gigantische Zuschüsse an die Automobilindustrie diskutiert. Würden Sie den bankrotten Autoriesen General Motors pleite gehen lassen?
Ich kann die Situation aus der Distanz nicht beurteilen - sind hier wirklich massive Managementfehler begangen worden oder ist es eine Krise der ganzen Branche? Das maße ich mir nicht an, von Österreich aus zu beurteilen.
Welche Branchen in Österreich erachten Sie als besonders krisenanfällig?
In erster Linie alle, die mit der Kfz-Industrie zusammenhängen. Das betrifft generell die gesamte Grundstoff- und verarbeitende Industrie.
In den Medien wird die Ablöse von ÖIAG-Chef Peter Michaelis bereits als fix dargestellt. Gibt es tatsächlich einen side letter zum Regierungsübereinkommen, wo sich SPÖ und ÖVP auf eine neue ÖIAG-Spitze festlegen?
Das kann ich weder bestätigen noch dementieren, das gehört nicht zu meinen Zuständigkeiten.
Die AUA hat gesamtwirtschaftliche Bedeutung: Wie gefällt Ihnen die Lösung mit der Lufthansa?
Ich halte das für eine relativ gute Lösung, allerdings wäre es vielleicht besser gewesen, bereits früher zu handeln.
Stellt sich derzeit die Frage weiterer Privatisierungen?
In der aktuellen Marktlage müssen wir darüber gar nicht erst nachdenken.
Die Krise hat die Teuerung aus den Schlagzeilen verdrängt, in diesen Tagen aber erhöhen viele Energieversorger die Preise massiv. Ist es politisch vertretbar, dass Unternehmen in öffentlicher Hand auf diese Weise enorme Gewinne erwirtschaften, um damit Profisport zu sponsern und sonstige politische Zuckerln zu finanzieren?
Das ist eine komplexe Fragestellung, die man sich sehr gut anschauen muss. Die Preise richten sich nach der Leipziger Strombörse.
Warum nicht den Energiepreis kostendeckend wie bei Gebühren organisieren - eventuell mit einem Investitionsaufschlag?
Dazu bedarf es zuvor einer politischen Debatte, die gibt es bisher aber nicht.
Wann wird die Entlastung des Faktors Arbeit endlich kommen?
Die Senkung der Lohnnebenkosten ist ein permanentes Ziel, das allerdings in Zeiten einer Rezession nur schwer umsetzbar ist.
"Gegebenenfalls müssen wir über weitere Schritte gegen die Krise nachdenken."
"Die Senkung der Lohnnebenkosten ist in Zeiten einer Rezession nur schwer umsetzbar."
Zur Person
Mit Reinhold Mitterlehner zieht ein erfahrener Sozialpartner-Vertreter ins Wirtschaftsministerium ein. Der bald 53-jährige Mühlviertler war seit dem Jahr 2000 stellvertretender Generalsekretär in der Wirtschaftskammer Österreich sowie ÖVP-Nationalratsabgeordneter. Der promovierte Jurist ist verheiratet und hat drei Kinder.