Jerusalem - Bis vor 35 Jahren zog sich ein Stacheldrahtzaun in der Mitte der Assael-Straße in Jerusalem, Grenze zweier verfeindeter Staaten und Völker. Auf der israelischen Seite lebten die Cohens, auf der jordanischen die Barakats. Höchstens ein Huhn schlüpfte manchmal unter dem Zaun durch, der für Menschen undurchlässig blieb. Dann redete alles von Krieg, und eines Tages Anfang Juni 1967 quartierten sich Soldaten bei den Cohens ein und im Garten der Barakats hoben jordanische Soldaten einen Graben aus.
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Die Barakats und die Cohens mussten ihr zu Hause vorübergehend verlassen. "Wir hatten sehr viel Angst", erinnert sich Talat Barakat, der damals 15 war. "Tag und Nacht saßen wir vor dem Rundfunkgerät und jeder wusste, dass der Krieg kommen würde." Der Krieg kam am 5. Juni 1967, und bereits am 10. Juni war er zu Ende.
Als die Cohens und Barakats in ihre Häuser zurückkehrten, hatte sich ihre Welt verändert. Der Stacheldraht war von der Straße verschwunden. Die 77-jährige Varda Cohen erinnert sich, dass sie in die Altstadt ging, die vor kurzer Zeit für sie noch weiter entfernt war als Berlin, Paris oder New York: "Alles war voller Menschen und ich erinnere mich, dass die Araber vor ihren Geschäften auf den Treppen saßen und einfach nur perplex waren."
Noch wenige Tage vorher, vor Beginn der Kampfhandlungen habe sie befürchtet, von den arabischen Armeen überrollt zu werden, erinnert sich Frau Cohen, deren deutscher Akzent noch heute daran erinnert, dass sie Nazi-Terror und Vernichtung überlebte. "Wir dachten wirklich, wir würden nicht überleben." Aber dann schlug Israel zuerst zu. Seine Luftwaffe vernichtete binnen Stunden die ägyptische und schuf damit die Voraussetzung für den ungehinderten Vormarsch der israelischen Armeen.
Nach sechs Tagen war die ganze politische Geografie des Nahen Ostens umgekrempelt und bildet mit ihren damals geschaffenen Tatsachen die Grundlage für den bis heute ungelösten israelisch-arabischen Konflikt. Durch die blitzartige Eroberung des Westjordanlandes, des Gaza-Streifens, der Golan-Höhen und der Halbinsel Sinai hatte sich das von Israel beherrschte Territorium vervierfacht.
Umstritten in den verschiedenen Darstellungen ist die Bewertung, ob es sich beim Sechstagekrieg um eine israelische Aggression oder einen Präventivschlag handelte, mit dem der jüdische Staat einem sicher bevorstehenden arabischen Angriff zuvorkommen wollte. Letztere Interpretation wird besonders in der pro-israelischen Literatur propagiert und von den meisten westlichen Ländern akzeptiert, während erstere von den Arabern und den Kritikern der israelischen Politik besonders bei der politischen Linken vertreten wird.
Zwar gab es in den dem Krieg vorausgegangenen Tagen und Wochen zahlreiche arabische Drohungen, wie den Beitrag von Radio Kairo vom 22. Mai, wonach das arabische Volk entschlossen sei, "Israel von der Landkarte verschwinden zu lassen". Doch solche Töne gehören eher dem Reich des arabischen Verbalradikalismus an, als dass sie eine ernste Bedrohung für den hoch gerüsteten Judenstaat darstellten, von dem auch die arabischen Regierungen wussten, dass er militärisch von ihnen nicht zu besiegen war.
Nach anderer Darstellung handelt es sich bei den arabischen Mobilmachungen gegen Israel eher um eine Reaktion auf israelische Drohungen gegen Syrien, wo sich wenige Monate zuvor eine sozialistische Regierung vom linken Flügel der Baath-Partei unter Nureddin Atassi etabliert hatte. Am 14. April erklärte Generalstabschef Yitzhak Rabin, Israel könne kein sozialistisches Regime in Syrien dulden. Jedenfalls lässt der atemberaubend schnelle israelische Erfolg auf dem Schlachtfeld nur den Schluss zu, dass dem ein Plan zu Grunde lag, der von langer Hand vorbereitet worden war.