Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Dass in Sierra Leone bald wieder Frieden herrscht, daran mag Mohamad Sessih nicht recht glauben. Der ehemalige Geschäftsmann aus dem südlichen Kono war 1998 von RUF-Rebellen verwundet worden und lebt seitdem in Grafton, einem Lager für Kriegsverletzte. Sessih hat es nicht eilig, nach Kono zurückzukehren: Sein Haus wurde im Bürgerkrieg niedergebrannt. "Ich habe gar nichts mehr", klagt er.
Dass Sierra Leones Präsident Ahmed Tejan Kabbah den Fortschritt, der durch die jüngsten Friedensbemühungen erzielt wurde, für "irreversibel" hält und jeden davor warnt, den "Friedensprozess zu sabotieren", stimmt die Bevölkerung nicht optimistisch. Wenn Kabbah von Saboteuren spricht, dann meint er in erster Linie die Rebellenorganisation Revolutionäre Einheitsfront (RUF). Sie hatte im Mai letzten Jahres durch ihre erneuten Angriffe das im Juli 1999 geschlossene Friedensabkommen zu Fall gebracht.
Einmischung Liberias
Nach allgemeiner Einschätzung gilt die Guerillaorganisation, deren Chef Foday Sankoh seit einem Jahr von der Regierung unter UN- Aufsicht festgehalten wird, als sehr geschwächt. Internationale Sanktionen verstärken auch den Druck auf Sankohs Verbündeten Charles Taylor. Dieser - der Staatspräsident des Nachbarlands Liberia hat seinerseits alle Mühe, Rebellen im eigenen Land in Schach zu halten.
Guineas Militär ist in jüngster Zeit massiv gegen die RUF vorgegangen. Berichten zufolge tauchen immer mehr junge RUF-Kämpfer in den Auffanggebieten und Demobilisierungslagern auf, ein Indiz für die schwindende Kampfmoral der Rebellen.
Andererseits bemühen sich derzeit britische Spezialausbildner, in kürzester Zeit aus demoralisierten, zerlumpten Armeesoldaten hoch motivierte Kämpfer zu machen. Trotzdem steht eine britische schnelle Eingreiftruppe für den Fall bereit, dass die RUF wieder einmal angreift. Auch die UN-Friedenstruppe UNAMSIL wird ständig verstärkt.
Dennoch halten Beobachter die Lage in Sierra Leone für ebenso instabil wie vor einem Jahr. "Es ist keineswegs so, als sei schon alles geklärt", meinte ein gut informierter Kommentator skeptisch. Da ist die ungeklärte Frage über die künftige Rolle der Rebellenorganisation, die heute als politische Partei auftritt und sich moderater gibt, solange ihr Anführer nicht frei ist. Ihr Sprecher, Omrie Golley, ist Vorsitzender eines siebenköpfigen Beirates für Frieden und Politik. Als Interims-Anführer der RUF-Kämpfer gilt Issa Sesay.
Grundlage des Friedensprozesses ist immer noch der Vertrag von Lome aus dem Jahre 1999. Darin hatte sich die Regierung von Sierra Leone verpflichtet, alles zu tun, damit aus der Guerillaorganisation RUF eine politische Kraft wird, die sich in den demokratischen Prozess integrieren und sich auch an einer Regierung beteiligen kann. Nach Ansicht von Beobachtern dürfte mit Neuwahlen jedoch so bald nicht zu rechnen sein, da immer noch weite Teile des Landes von den Rebellen kontrolliert werden.
Wenig Vertrauen in das Entwaffnungsprogramm
Vieles hängt davon ab, wie schnell das Programm zur Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung abläuft. Hatte sich das Demobilisierungsprogramm noch Mitte Mai zügig entwickelt, so wird jetzt befürchtet, dass die RUF-Guerilla und die Zivile Verteidigungskraft (CDF) ihre wichtigsten Waffen behalten und nur Kleinkalibriges abliefern. UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte in seinem jüngsten Bericht über Sierra Leone bedauert, dass das Demobilisierungsprogramm mit 17,5 Millionen Dollar 2001 und 13,9 Millionen Dollar 2002 stark unterfinanziert ist. Auf der Geberkonferenz, die im Juni in Paris stattfand, wurde kritisiert, dass die Regierung von Sierra Leone immer noch keine kurzfristigen Maßnahmen zur Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer beschlossen hat.