![Eine Illustration eines Sanitäters in einer Kriegslandschaft.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/b4d03a9c3c/wz_podcast_arzt_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Schweden glänzt mit solidem Budget und Wachstum. | Rekordergebnisse für Nordea, Scania, Electrolux und Co. | Sorgen bereiten nur die Bildung und hohe Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen. | Stockholm/Wien. Europa versinkt in Schulden. Ganz Europa? Nein. Eine Handvoll nordischer Staaten leistet Widerstand - allen voran Schweden. Einzig 2009 leisteten sich die Skandinavier einen Ausreißer: Sie mussten in ihrem Staatshaushalt einen Fehlbetrag verbuchen. Ein ganzes Prozent der Wirtschaftsleistung als Minus. Die Scharte war flott ausgewetzt; schon das Budget 2010 wieder ausgeglichen. Heuer fallen, wie vor der Krise, erneut Überschüsse an. | Vier Variationen von Wohlstand
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Davon können andere Europäer, Österreich inklusive, nicht einmal träumen. So unglaublich es angesichts von Schuldenkrise und Staatspleiten klingt: Schweden macht keine Schulden, sondern baut sie ab. Die Staatsverschuldung liegt bei mustergültigen 40 Prozent, Tendenz fallend.
Krise, welche Krise?
Die blütenweißen Finanzen sind einer der Gründe, warum die Schweden mit Wachstumszahlen glänzen, die sogar die vielgerühmte deutsche Wirtschaft in den Schatten stellen. Dabei war die Krise nicht geringer als anderswo, im Gegenteil: Die Exportlastigkeit bescherte dem Land eineinhalb Jahre lang einen massiven Abschwung. "Schweden ist tiefer gestürzt als andere und hat eine sehr beherzte Vollbremsung hingelegt", sagt Peter Sedlmayer, Handelsdelegierter in Stockholm, zur "Wiener Zeitung". Auch Österreichs Exporteure bekamen das zu spüren: Das Minus der Ausfuhren betrug 2009 satte 31,1 Prozent.
Der Schock währte nicht lange. Schon 2010 war Schwedens Einbruch mit 5,5 Prozent BIP-Wachstum wettgemacht. Heuer und nächstes Jahr wächst das Land mit 4,5 und 2,8 Prozent rascher als der Rest Europas (Österreich je rund 2,2 Prozent).
Was sind die Gründe? Geholfen hat, dass die Regierung Geld in der Kasse hatte, um zu reagieren - mit großzügigen Bankenrettungen, aber auch Investitionen in die Infrastruktur. Jetzt kann die konservative Partei von Fredrik Reinfeldt (seit 2006 Ministerpräsident, seit September 2010 in einer Minderheitsregierung) Steuersenkungen versprechen. Das ändert wenig an der hohen Abgabenquote, ein starker Staat genießt in Schweden aber traditionell höhere Akzeptanz als anderswo. Die Haushalte werden es positiv spüren und die Einkaufskörbe noch üppiger füllen.
Richtige Lektion gelernt
Schweden spielt gerne den Musterschüler, vom Budget über Umweltschutz, vom Sozialstaat bis zur Gleichberechtigung. Im EU-Innovationsvergleich, der am Dienstag präsentiert wurde, ist Schweden Spitze vor Dänemark und Finnland (Österreich: Platz sieben).
Viele Euroskeptiker sehen die Schwedische Krone als Beweis, dass eine eigene Währung kein Nachteil sein muss. Der Vergleich hinkt aber - die Erfolgsstory der nordischen Musterschüler ist kein Zufall, sondern hart erarbeitet: Die Schweden mussten in den 1990ern ihre eigene Finanzkrise verdauen und haben die Lektion gelernt. Die Bevölkerung zog an einem Strang und eine Budgetsanierung durch, die annähernd mit jener vergleichbar ist, die Griechenland jetzt erleidet. Im Jahr 1993 betrug das Defizit 11,3 Prozent. Zugegeben: Die Schweden konnten auf bessere Wettbewerbsfähigkeit, eine gesündere Industrie und auf globales Wachstum zählen. Nicht zuletzt zog der Boom der Telekom-Industrie das Land aus der Krise.
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Nach den Bankenpleiten der 1990er sanierte der sozialdemokratische Premier Göran Perrson die Staatsfinanzen. Seither sorgen Budgetüberschüsse für stets gut gefüllte Sicherheitspolster.
Das half in der aktuellen Finanzkrise, denn Großbanken wie Nordea, SEB und Swedbank hatten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie Österreichs Geldinstitute - nur, dass das Osteuropa der Schweden im Baltikum liegt. Wegen Kreditausfällen und dem Absturz der lokalen Währungen mussten die Banken hohe Abschreibungen verdauen. Mittlerweile ist die Lage stabil - der Euro-Beitritt Estlands Anfang 2011 war kein Nachteil.
Konzerne mit Rekorden
Getragen wird die Wirtschaft von global ausgerichteten Unternehmen, die mit hervorragenden Zahlen glänzen. Die Großbank Nordea verblüffte Analysten am Mittwoch mit einem Gewinnsprung von 80 Prozent und 1,1 Milliarden Euro Betriebsergebnis. E-Gerätehersteller Electrolux meldete am selben Tag Rekordgewinne (gut 450 Millionen Euro) - ebenso wie die schwedische VW-Tochter Scania (1 Milliarde Euro).
Die Bekleidungskette H&M verdiente 2,1 Milliarden Euro - noch bessere Zahlen wurden nur durch hohe Baumwollpreise verhindert. Den Mobilfunkriesen Ericsson brachte der Smartphone-Boom nach zwei Jahren Durststrecke auf Wachstumskurs. Und sogar der kriselnde Pkw-Hersteller Saab, der jetzt dem niederländischen Autobauer Spyker gehört, lieferte im Schlussquartal mit 10.100 verkauften Autos (plus 41 Prozent) ein Lebenszeichen.
Die bekannteste Marke, Ikea, fuhr 2010 mit 2,7 Milliarden Euro einen weiteren Rekordgewinn ein, ist aber ein schlechtes Beispiel: Der Hauptsitz befindet sich in den Niederlanden - und die Fäden diverser Eigentümerstiftungen laufen in Liechtenstein zusammen.
Ebenfalls Pisa-Debakel
Echte Wirtschaftssorgen der Wikinger-Erben sind gering. Um die Inflation unter Kontrolle zu halten, haben die Währungshüter der Riksbank früh begonnen, an der Zinsschraube zu drehen: Das Rekordtief waren 0,25 Prozent, nach mehreren Anhebungen liegt der Leitzins bei 1,25 Prozent.
Aufholbedarf sieht die OECD bei der Bildung: Anders als Nachbar Finnland, der Jahr für Jahr mit Spitzenresultaten seiner 15-jährigen Schüler glänzt, ist Schweden bei der Pisa-Studie weit zurückgefallen - teilweise sogar hinter Österreich. "Die Ergebnisse geisterten wie bei uns wochenlang durch die Zeitungen", sagt Sedlmayer, "haben letztlich aber keine nennenswerte Bildungsdebatte ausgelöst." Gerügt wird von der OECD ferner die hohe Jugendarbeitslosigkeit: "Jeder Fünfte unter 25 Jahren findet keinen Job", so der Handelsdelegierte.
Beim Immobilienmarkt könnte das dicke Ende noch bevorstehen. "Die Preise steigen jedes Jahr beträchtlich, in besseren Lagen um 10 Prozent", sagt Sedlmayer, der schon seit fünf Jahren mit einem Einbruch rechnet. Allerdings wachse der Bedarf an Wohnraum im städtischen Bereich fast doppelt so stark wie die Neubauten. Dafür ist ein starker Zuzug aus ländlichen Regionen verantwortlich, aber auch die hohe Fruchtbarkeit: Die Schweden liegen mit einer Geburtenrate von knapp zwei Kindern pro Frau in der Europaspitze (Österreich: knapp 1,4).