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"Schöpferische Zerstörung" ist notwendig, damit Neuordnung stattfinden kann.
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"Langfristigkeit ist ein trügerischer Leitfaden für die Gegenwart. Auf lange Sicht sind wir alle tot", schrieb John Maynard Keynes 1923 in seinem Werk "A Tract on Monetary Reform". Was der Ökonom damit meinte: Die Probleme der Gegenwart sind wichtiger als die Lösungen der Zukunft, und auch wenn sich viele Probleme langfristig von selbst lösen, können kurzfristige Friktionen Leid verursachen. Und dennoch ist die lange Sicht für die Wirtschaft entscheidend.
Damit komme ich zu einem anderen berühmten Ökonomen: Joseph Schumpeter. In seinem 1911 erschienenen Werk "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" entwickelte er das Konzept der "schöpferischen Zerstörung", einer treibenden Kraft, die die Weiterentwicklung der Wirtschaft ermöglicht. Durch eine neue Kombination von Produktionsfaktoren und innovativen Produkten, die sich erfolgreich durchsetzen, werden alte Strukturen verdrängt und schließlich zerstört. Zerstörung - ja auch "tote" Unternehmen - ist also notwendig, damit eine Neuordnung stattfinden kann.
Dies ist meine letzte Kolumne in der "Wiener Zeitung". Denn die letzte gedruckte Ausgabe der "Wiener Zeitung" erscheint am 30. Juni 2023 - im 320. Jahr nach ihrer Gründung. Das macht sie bis dato zur ältesten Tageszeitung der Welt. Davon unabhängig sind 320 Jahre ein herausragendes, seltenes Alter für ein Unternehmen. Doch auch dieses Alter schützt nicht vor globalen Entwicklungen - wie uns Schumpeter gelehrt hat. Und am Ende ist es ein Verlust für die österreichische Medienlandschaft.
Gibt es gute Argumente, die Entwicklungsprozesse in der Medienlandschaft zu stoppen? In diesem Zusammenhang wird auf die Monopolstellung von Google auf dem Werbemarkt verwiesen. Von Anfang 1900 bis Anfang 2000 stammten 60 bis 80 Prozent der Zeitungsbudgets aus Werbeeinnahmen. Und in den 1990er und frühen 2000er Jahren war dieses Modell recht gut auf das Internet übertragbar, da eine Vielzahl von Werbevermittlern offene Märkte für Internetwerbung förderte. Dann kam eine Welle von Fusionen und Übernahmen, die Google fast ein Monopol auf dem Werbemarkt verschaffte. Im Jahr 2022 erwirtschafte Google einen Umsatz von rund 260 Milliarden Euro, der fast ausschließlich aus Werbeeinnahmen stammt und damit etwas geringer ist als das Bruttoinlandsprodukt Finnlands. Viele befürchten, dass diese Monopolstellung nicht mehr zu brechen ist.
Schumpeter warnte jedoch vor einem solchen Monopol-Fatalismus. Er erkannte, dass der wichtigste Wettbewerbsdruck langfristig von neuen Produkten ausgeht, die die etablierten Unternehmen durch eine deutliche Verbesserung der Produktqualität verdrängen. In den vergangenen 100 Jahren wurden große Unternehmen, die in ähnlichen Branchen wie die heutigen Technologieunternehmen tätig waren, regelmäßig als unangreifbare Monopole bezeichnet. Historische Fallstudien über die Great Atlantic and Pacific Tea Company, Myspace, Nokia, Kodak, Apples iTunes, Microsofts Internet Explorer und andere zeigen jedoch, dass nichts auf der Welt eine dauerhafte Marktbeherrschung garantiert. In diesem erlauchten Kreis finden wir in Kürze auch die Printausgabe der "Wiener Zeitung" - "in the long run we are all dead" - machen wir das Beste daraus.
So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.