Vor allem der IT-Sektor ist betroffen. | Auch im Fremdenverkehr und in der Gesundheit fehlen Arbeitskräfte. | Ältere Generation kann nicht mit Computern umgehen. | Budapest. Das Budapester Wirtschaftforschungsinstitut schlägt für den ungarischen Arbeitsmarkt Alarm. Wenn niemand gegensteuert, wird es zu enormen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen kommen. Denn Ungarn gehen - zumindest im westlichen Teil des Landes - die Fachkräfte aus. Vor allem im Gesundheitswesen, aber auch im IT-Bereich gebe es in Ungarn mehr offene Stellen als - in Frage kommende - Bewerber, erklärte Erzsébet Viszt vom Budapester Wirtschaftforschungsinstitut.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Erklärung ist einfach. Trotz mehrjähriger Arbeitsmarktsperre suchen immer mehr junge, sprachkundige und gut ausgebildete Ungarn den Weg nach Österreich, aber auch nach Deutschland. Obwohl heutzutage bedeutend mehr junge Menschen Englisch als Deutsch sprechen, heißt das erhoffte Zielland der Arbeitsmigranten nicht England oder Irland, sondern das benachbarte oder das leicht erreichbare Ausland. Die jungen Ungarn denken nämlich nicht an einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt, sondern wollen höchstens ein bis zwei Jahre das Land verlassen.
Bereits im Jahre 2003 hat das Ungarische Statistische Zentralamt festgestellt, dass rund vier Prozent der unselbständig Beschäftigten (7,5 Mio), das sind rund 300.000 Menschen, gerne im Ausland arbeiten würden. Ein Zehntel dieser Menschen hat bereits konkrete Vorbereitungen getroffen und zum Beispiel Fremdsprachenkurse besucht.
In den vergangenen drei Jahren wuchs der Anteil der möglichen Arbeitsmigranten, die das Land verlassen wollen. Rund ein Drittel der künftigen Arbeitsmigranten haben bereits eingehende Informationen über den österreichischen Arbeitsmarkt eingeholt. Neun Prozent der jüngeren Arbeitnehmer, fast vier Prozent der mittleren und sogar ein Prozent der älteren Arbeitnehmer suchen eine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit in Österreich.
Angelernte Arbeiter wollen ebenso weg
Ungarische Arbeitsmarktexperten stellten jüngst fest, dass neben den Akademikern und den gut ausgebildeten Fachkräften mit Fremdsprachenkenntnissen auch angelernte Arbeitnehmer gerne in Österreich einen Job annehmen würden. Vor allem im Fremdenverkehrssektor fehlt bereits Personal - Köche, Kellner und Zimmermädchen. Nur rund ein Viertel der potentiellen Arbeitsmigranten wollen fünf oder mehr Jahre im Ausland verbringen. Die Mehrheit (58 Prozent) will nur ein bis zwei Jahre in Österreich arbeiten, und 14 Prozent möchten nur einige Monate von zu Hause weggehen.
Die Altersgliederung der potenziellen künftigen Arbeitsmigranten entspricht bisherigen Erfahrungen in Westeuropa. Je jünger die Arbeitnehmer, desto länger möchten sie im Ausland arbeiten. Die mittlere Generation will nicht einmal ein volles Jahr im Ausland verbringen, während die Älteren - sofern sie überhaupt weg wollen- fast so lange wie die Jüngeren Ungarn verlassen wollen.
Der Anteil der älteren Menschen nimmt zu
Die zunehmende Abwanderung junger Menschen belastete die ohnedies kritische Bevölkerungspyramide Ungarns noch mehr. Bis zum Jahre 2020 wird sich der Anteil der über 55-Jährigen - jetzt 15,6 Prozent - auf immerhin 20,6 Prozent erhöhen. Als drittes Belastungsphänomen registrieren ungarische Arbeitsmarktexperten eine niedrige Beschäftigungsrate älterer Arbeitnehmer über 50 Jahre. Obwohl dieser Anteil im EU-Durchschnitt über 40 Prozent beträgt, haben in Ungarn nur knapp 28 Prozent der älteren Arbeitnehmer eine Arbeit.
Die Ungarn-Tochter des Computer- und IT-Konzerns IBM hat jüngst eine Untersuchung über die Beschäftigung von Arbeitnehmern, die über 50 Jahre alt sind, vorgelegt. Demnach sind 57 Prozent im Bildungs- und Gesundheitsbereich tätig, 32 Prozent arbeiten in der Landwirtschaft, der Rest verteilt sich auf andere Berufssparten. Die wenigsten älteren Arbeitnehmer (unter ein Drittel), so die IBM-Studie, sind bei ausländischen Firmen in Ungarn tätig. Bei ungarischen Firmen jedoch arbeiten 47 Prozent ältere Männer, wenn auch kaum Frauen. Den größten Anteil dieser Altersgruppe weist mit über 55 Prozent der öffentliche Dienst auf Landes- und Bundesebene auf.
Problematisch bei älteren Arbeitnehmern sind auch ihre mangelhaften EDV-Kenntnisse. Aufgewachsen in einer computerlosen Zeit, können sich nur die wenigen 45- bis 50-Jährigen auf diese heute notwendige Art der Arbeit umstellen. Diese schlechte Qualifikation der älteren Arbeitnehmer betrifft allerdings nicht nur die Angestellten, sondern - im zunehmenden Maße - auch die Arbeiter. Die technische und technologische Entwicklung macht auch sie arbeitslos. Laut IBM-Untersuchung kann nur knapp über die Hälfte der über 40-Jährigen mit einem Computer arbeiten, während dieser Anteil bei über 50-Jährigen auf rund 15 Prozent sinkt.
Der ungarische Arbeitsmarkt ist in mehrfacher Hinsicht in die Zwickmühle geraten. Zwischen der Abwanderung der jüngeren, gut ausgebildeten Arbeitskräfte und der älteren Arbeitnehmer, die mit der technischen Entwicklung nicht mehr mithalten können, und einer sichtlichen Zunahme der älteren Jahrgänge steht das gesamte Sozialsystem vor schier unlösbaren Problemen.