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Alle Zahlen zeigen, dass die Kirche an Boden verloren hat. | Der Mangel an Personal behindert jeden Aufbruch. | Wien. Offiziell kommt er als Pilger zur 850-Jahr-Feier des Wallfahrtsortes Mariazell. Doch da dies im Jahr 2007 die einzige Auslandsreise ist, die Papst Benedikt XVI. in Europa unternimmt, erwartet zumindest die katholische Welt auch Worte von weltkirchlicher und politischer Bedeutung aus dem Mund des Petrusnachfolgers, der über seine Kirche hinaus als großer Theologe geschätzt wird.
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Der Papst kommt in ein Land, das sich in den letzten 25 Jahren stark verändert hat, dessen katholische Kirche (siehe Grafik) in dieser Zeit dramatisch an Boden verloren hat. An jene Menschenmassen, die 1983 Johannes Paul II. noch in Wien um sich scharen konnte, ist diesmal nicht zu denken. Das liegt natürlich auch daran, dass damals der erste Papstbesuch seit 200 Jahren erfolgte, ein relativ junger, mediengewandter Pontifex anreiste und die katholische Welt noch einigermaßen in Ordnung war. Seit Beginn der 1980er Jahre haben sich wichtige Kennzahlen halbiert: die regelmäßigen Messbesucher, die Priesterweihen, die Ordensfrauen. Die Zahl der kirchlichen Eheschließungen betrug 2006 gar nur 40 Prozent des Wertes von 1981.
Die Zahl der Kirchenaustritte hat sich - von einzelnen "horriblen Jahren" mit über 40.000, einmal sogar über 50.000 Austritten einmal ganz abgesehen - auf einem deutlich höheren Wert eingependelt.
Der Rückgang der Priesterzahl sieht noch nicht so dramatisch aus, doch der Altersdurchschnitt liegt laut Auskunft der Plattform "Wir sind Kirche", die dem "Kirchenvolksbegehren" ihre Entstehung verdankt, bei etwa 64 Jahren. Die Kirchenleitung steht zunehmend vor der Alternative, ob sie nach und nach, vor allem im ländlichen Raum, mehrere Pfarren in einer Zentralpfarre konzentriert (zu der dann viele Katholiken keine Beziehung mehr gewinnen) oder Laien die Pfarrleitung (aber nicht die Spendung der Sakramente) anvertraut.
Der Papst kommt in ein Land, dessen Kirche heute tief gespalten ist. Allen Umfragen zufolge befürwortet eine klare Mehrheit der Katholiken Reformen im Sinne des 1995 nach der Affäre um Kardinal Hans Hermann Groer initiierten Kirchenvolksbegehrens: Abschaffung des Pflichtzölibates, Öffnung kirchlicher Weiheämter für Frauen, mehr Liberalität in der Sexualmoral, Einbeziehung der Ortskirche in die Wahl von Bischöfen. Zumindest zwei dieser Forderungen stehen keineswegs im Widerspruch zur kirchlichen Tradition: Die Verpflichtung zum Zölibat erfolgte erst im zweiten nachchristlichen Jahrtausend, die Wahl der Bischöfe durch Klerus und Volk war im ersten Jahrtausend die Regel, noch lange bestimmten Domkapitel oder Herrscher über die Vergabe von Bischofssitzen, bis ab dem 16. Jahrhundert immer mehr Rom dieses Recht an sich zog.
Gelähmte Kirche
Die heutige Spaltung der österreichischen Kirche in einen kleinen Flügel, der mit Rom und fast allen Bischöfen allen Reformen abgeneigt ist, und einem größeren Flügel, der sich zwar Reformen wünscht, aber bis auf wenige kein großes Interesse mehr zeigt, sich für dieses kurzfristig aussichtslos erscheinende Unterfangen besonders zu engagieren, lähmt natürlich die Kirche. Dabei könnte zumindest eine Reform der Kirche nützen: Die seit dem zweiten Vatikanischen Konzil diskutierte Zulassung bewährter verheirateter Männer zum Priesteramt ("viri probati") könnte zumindest das Personalproblem der Kirche entschärfen. Dieses Problem führt ja derzeit dazu, dass die Kirche selbst Leuten, die Zugang zu ihr suchen, derzeit kaum noch Ansprechpartner bieten kann und zum Beispiel die Jugendarbeit weitgehend verkümmert.
Der Papst kommt in ein Land, in dem - auch wegen der genannten Konflikte - die katholische Kirche und ihre einstigen Werthaltungen deutlich an Boden verloren haben. Beispiel Abtreibung: Nach wie vor lehnen die meisten Katholiken die Abtreibung ab, aber nur noch wenige steigen für deren strafrechtliche Verfolgung auf die Barrikaden und kritisieren offen die Bischöfe, die sich mehrheitlich dieser pragmatischen Haltung angeschlossen haben. Beispiel Politik: Legte vor rund 30 Jahren noch ein Landeshauptmann der ÖVP wegen seiner Scheidung sein Amt zurück, so würde heute kaum noch ein Amtsträger aus dem so genannten christlich-sozialen Lager einen solchen Schritt setzen.
Der Papst kommt als Freund Österreichs, als Kenner der Lage, aber auch als einer, der nicht viel von Reformen hält. Ihm ist bewusst, dass es heute für die Kirche ums Ganze geht, nicht um Einzelfragen moralischer oder politischer Natur, sondern um die Frage nach der Existenz und dem Wesen Gottes. Wenn große Teile der Gesellschaft diese Frage gar nicht mehr stellen, so sieht er seine Aufgabe darin, sie immer wieder in Erinnerung zu rufen und sein christliches Gottesbild zu verkünden.
Offensichtlich sind aber auch innerhalb der Kirche gar nicht mehr viele geneigt, ihm zuzuhören, ehe nicht konkrete Reformen gesetzt werden. Die kommenden Tage werden zeigen, wie groß das Interesse am Papst noch ist.
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