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In wenigen Minuten zum Tod

Von Friedrich Katscher

Wissen
Giftmolekül mit Sprengkraft: Seine Bestandteile sind Kohlenstoff (schwarz), Sauerstoff (rot), Stickstoff (blau), Wasserstoff (weiß), Fluor (grün) und Phosphor (orange).
© wikimedia

Restbestände und geheime verbotene Vorräte nicht nur für den Feind gefährlich.


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Wien. Tabun, Sarin und Soman sind keineswegs die wohlklingenden Namen von Wasch- oder Putzmitteln, sondern von Nervengiften, die einen Menschen innerhalb weniger Minuten töten können. Sie wurden in Nazideutschland entwickelt und im Zweiten Weltkrieg in großen Mengen hergestellt, jedoch glücklicherweise nicht angewendet. Die USA und andere Staaten behaupten, dass der syrische Staatspräsident Bashar al-Assad am 21. August mehr als 1400 Menschen mit Sarin getötet hat, was er bestreitet.

1936 erhielt der Grazer Pharmakologe Otto Loewi den Medizinnobelpreis. Er hatte 1920 nachgewiesen, dass die Nervenimpulse von einer Nervenzelle zur nächsten oder zu einer Muskelzelle an der Kontaktstelle auf chemischem Wege, durch eine Überträgersubstanz, weitergeleitet werden. Weitere Forschungen ergaben, dass es in sehr vielen Fällen der Neurotransmitter Azetylcholin ist, der den Reiz weitergibt und so die Muskelbewegung auslöst.

Nicht nur gegen Blattläuse

Damit die Wirkung wieder verschwindet und weitere Impulse empfangen werden können, muss das Azetylcholin unwirksam gemacht werden. Das geschieht durch den Stoff Azetylcholinesterase oder kurz Cholinesterase. Er zerlegt das Azetylcholin in weniger als einer Tausendstelsekunde in Cholin und Essigsäure.

Am 23. Dezember 1936, zwei Wochen nach der Überreichung des Nobelpreises an Loewi, stieß der deutsche Chemiker Gerhard Schrader, der bei der Interessengemeinschaft Farbenindustrie in Leverkusen arbeitete, bei Forschungen zur Herstellung von Insektenvertilgungsmitteln auf ein außerordentlich starkes Gift. Wie sich herausstellte, tötete die später Tabun genannte Substanz nicht nur Blattläuse, sondern hatte als Spray auch unangenehme Nebenwirkungen auf den Menschen. Schrader und sein Team litten unter Sehschwäche, Atembeklemmungen und Asthmaanfällen und waren drei Wochen lang krank. Dabei hatten sie Glück, dass die zubereitete Menge so klein war. Sie hätten auch sterben können, denn Schrader hatte unabsichtlich den bis dahin stärksten Kampfstoff gefunden.

Tabun, ebenso wie der von Schrader entdeckte noch giftigere Phosphorsäureester Sarin und das vom Wiener Chemienobelpreisträger Richard Kuhn gefundene Soman sowie das ebenfalls 1944 von Schrader hergestellte inzwischen verbotene Insektenvertilgungsmittel und Mord- und Selbstmordgift E 605 (Parathion) sind solche Cholinesterasehemmer. Sie verhindern, dass die Cholinesterase das Azetylcholin spaltet. Dadurch kommt es zu einer Dauer- und Übererregung und infolgedessen zu einer Verkrampfung der Muskeln, zum Verlust der Muskelkontrolle, zu Muskelzuckungen, Lähmungen, Schweißausbrüchen, Tränen- und Speichelfluss, Übelkeit, Atemnot, Sehtrübungen bis zur Erblindung, Koliken und Verlangsamung des Herzschlags. Der Körper kann Harn und Kot nicht mehr halten, es kommt zu unkontrollierbarem Erbrechen. Nach all diesen qualvollen Symptomen tritt der Tod, für den rund ein Tausendstelgramm genügt, je nach Menge nach Minuten oder Stunden ein. Das Tückische ist, dass diese Gifte nicht nur durch die Lunge, sondern auch durch die Haut rasch aufgenommen werden.

Selbstinjektion als Erste Hilfe

Eine Gasmaske und ein hermetisch dichter Ganzkörper-Schutzanzug schützen gegen die Nervengifte. Gegenmittel sind eine Injektion von Atropinsulfat und einem zweiten Mittel sowie künstliche Beatmung. US-Soldaten trugen früher drei Selbstinjektionsapparate bei sich. Sie waren geschult, sich bei ersten Symptomen einer Nervenkampfstoffvergiftung rasch selbst eine Spritze zu geben und einem Kameraden bei Bedarf Erste Hilfe zu leisten.

1952 wurde ein noch stärkeres cholinesterasehemmendes Nervengift in England entdeckt, das die Bezeichnung VX erhielt. Die V-Kampfstoffe sind chemisch sehr stabil, schwer entgiftbar und würden wegen ihrer geringen Flüchtigkeit ein Gelände langdauernd verseuchen.

Die Nervengifte sind nicht nur für den Feind, sondern bei einem Unfall auch für die eigenen Truppen äußerst gefährlich. Die USA entwickelten daher "binäre", aus zwei Einheiten bestehende C-Waffen. Der eigentliche Kampfstoff entsteht erst nach dem Einsatz der Granate, Bombe oder Rakete durch die Vereinigung, Vermischung und chemische Reaktion von zwei in getrennten Behältern untergebrachten relativ ungiftigen Bestandteilen nach der Zerstörung der Trennwände. Die beiden Bestandteile wurden weit voneinander aufbewahrt - in den USA sogar in verschiedenen Bundesstaaten. Das Binärprinzip ermöglicht Herstellung, Transport und Lagerung fast ohne Risiko.

Das Ende des Kalten Krieges machte den Weg frei für die Abschaffung der Nervenkampfstoffe durch die USA und Russland. Alle C-Waffen wurden international geächtet. Nach vielen Verhandlungen wurde von der Genfer Abrüstungskonferenz das "Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen" verabschiedet. Österreich ratifizierte die Konvention 1995 und 1997 auch die USA und Russland. Bis jetzt stimmten 189 Staaten der am 29. April 1997 in Kraft getretenen Konvention zu. Noch nicht ratifiziert wurde der Vertrag etwa von Syrien, Israel, Ägypten und Nordkorea.

2012 sollten alle Bestände an C-Waffen vernichtet sein. Aber es gibt technische Schwierigkeiten und auch die USA und Russland sind noch säumig. Außerdem aber gibt es geheime verbotene Vorräte an Nervenkampfstoffen auch noch in anderen Ländern, wie die aktuellen Ereignisse in Syrien zeigten.