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In Wien wartet keine Zukunft

Von Sarah Al-Hashimi

Politik
Empfangen werden die Wohnungslosen von einem Zivildiener und einem Praktikanten. Die Namen werden registriert und schwarze Müllsäcke mit Isomatten und Schlafsäcken ausgeteilt.
© Jenis

Mit Übernachtung in zweiter Gruft ist eine Rückreiseberatung verpflichtend.


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Wien. "Am Ende lass’ ich niemanden draußen schlafen", sagt Ali Jaha, Sozialarbeiter der Zweiten Gruft. Eine Caritas-Einrichtung, in der obdachlose EU-Ausländer einen Platz zum Schlafen bekommen. Diese Gruppe von Menschen darf nämlich nicht in die "normale" Gruft. Im Gegensatz zu den österreichischen Wohnungslosen haben sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Außerdem haben "Zugewanderte mehr Kampfgeist und sind dadurch viel aggressiver als die österreichischen Obdachlosen. Die Starken könnten die Schwachen verdrängen. Damit so ein Effekt erst gar nicht entsteht, schicken wir die Leute in zwei unabhängige Häuser", sagt Michael Zikeli, Leiter der Zweiten Gruft.

Im Tageszentrum St. Josef in Währing ist um 18 Uhr Einlass. Empfangen werden die Wohnungslosen von einem Zivildiener und einem Praktikanten. Die Namen werden registriert und schwarze Müllsäcke mit Isomatten und Schlafsäcken ausgeteilt. Im Gegenzug müssen die Klienten zur Tuberkuloseuntersuchung und dürfen keinen Alkohol mit ins Haus nehmen. Außerdem sollen sie sich ruhig verhalten. Es kommt vor, dass lauthals diskutiert und geschimpft wird. Dabei sei oft Alkohol im Spiel und keine gute Voraussetzung für ein friedliches Miteinander. "Die meisten sind es gewohnt einen fixen Schlafplatz zu haben. Wenn ein Neuer sich an einem inoffiziell reservierten Platz breit macht, gibt’s Streit", erklärt Jaha.

Den Mitarbeitern gegenüber seien die Männer aber loyal. Beim Hauseingang werden sie zwar auf Alkohol untersucht, schaffen es aber trotzdem, welchen hinein zu schmuggeln. "Wie, wissen wir nicht", erzählt Jaha.

Marian aus der Slowakei lebt seit 20 Jahren in Wien. Er zittert und ist eindeutig alkoholisiert. In seiner Heimat hat er Tischler gelernt, aber die Ausbildung nicht fertig abgeschlossen. In Österreich hantelt er sich von einer Schwarzarbeit zur nächsten. "Bitte, hol nicht die Polizei!", versichert er sich bei jedem, der mit ihm sprechen möchte. Wie kann ein Mann, der schon länger alkoholkrank ist, 20 Jahre in Wien leben, ohne von der Polizei aufgegriffen zu werden? "Den Polizisten ist es oft zu mühsam, alkoholisierte Einwanderer mitzunehmen und sie in eine Zelle zu stecken. Sollen sie lieber auf der Straße bleiben", so erklärt sich ein Mitarbeiter diesen Umstand.

"Zwang" zur Schwarzarbeit

Am 1. Mai 2004 traten die Länder Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Malta und Zypern der Europäischen Union bei. Die Bürger aus den neuen EU-Ländern dürfen sich ohne Reisepass und ohne Visum frei im Binnenmarkt, der gemeinsame wirtschaftliche Bereich der Europäischen Union, bewegen. Neben Belgien, Dänemark und Deutschland wird ihnen auch in Österreich der freie Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Einzig Malta und Zypern haben bereits seit ihrem Beitritt freien Zutritt zu den Binnen-Jobs. Belgien und Dänemark hoben am 1. Mai 2009 die Beschränkungen auf - Deutschland und Österreich erst, nachdem die siebenjährige Frist im Mai 2011 abgelaufen war.

Heute warten noch Rumänen und Bulgaren auf das Ablaufen der Übergangsfrist im Jänner 2014. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als schwarz zu arbeiten und/oder sich auf den sogenannten Arbeiterstrich auf die Triester Straße oder den Lerchenfelder Gürtel zu stellen, wo sie für weniger als den Mindestlohn aufgegriffen werden.

Den Anstoß für die Eröffnung der Zweiten Gruft, die auf Spenden angewiesen ist, gab die Audimax-Besetzung der Universität Wien im Jahr 2009. Studenten hatten für einige Wochen den Hörsaal besetzt, um gegen Studiengebühren und für einen freien Hochschulzugang zu protestieren. In kürzester Zeit hatte sich der freie Zutritt zu beheizten Räumen in der Universität Wien unter den Obdachlosen herumgesprochen. Sie wurden Teil der Demonstration. Großen Bedarf an Räumlichkeiten für Heimatlose gab es schon vorher, doch erst durch die Studentenproteste gelang das Thema der obdachlosen Einwanderer an die Öffentlichkeit. Heute bietet das Tageszentrum St. Josef in der Lacknergasse in Währing, 50 Schlafplätze für die hilfesuchenden Männer. Weitere 40 Plätze gibt es im Haus Hermes in der Landstraße. Für Frauen wurden Schlafmöglichkeiten in der Reinlgasse in Penzing geschaffen.

Dolmetscher im Einsatz

Im letzten Winter kamen Menschen aus 60 Nationen in die Zweite Gruft. Wenn sie kein Deutsch sprechen, wird ihnen ein Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Mit einem Übernachtungs-Schein ist eine Sozial- und Rückreiseberatung verpflichtend.

Die Aufgabe der Mitarbeiter in der Caritas-Beratungsstelle ist die obdachlosen Einwanderer zu enttäuschen und sie zurück in ihre Heimat zu schicken. Dafür erhalten die EU-Ausländer ein bezahltes Heimreiseticket. In Wien wartet nämlich keine Zukunft auf sie. Nur wenige schaffen den Ausweg aus der Obdachlosigkeit. Der Slowake Jaroslav R. beispielsweise fand nach einjährigem Aufenthalt in der Zweiten Gruft eine eigene Wohnung. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und hilft im Caritaszentrum aus. "Er ist auf einem guten Weg", freut sich Jaha für seinen Klienten.