Die ÖVP greift den SPÖ-Vorschlag nach Abschaffung des Pflegeregresses auf - auch die Opposition ist dafür.
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Wien. "Da arbeitet man sein Lebtag - und dann ist alles weg", sagt M. Berger (Name geändert) zur "Wiener Zeitung". Sie hofft, dass sich die Regierung rasch auf die Abschaffung des Pflegeregresses einigt. Für sie würde das bedeuten, dass sie nicht bangen muss, das Haus, in dem sie seit 46 Jahren gelebt, die gemeinsamen Kinder großgezogen und die Landwirtschaft geführt hat, zu verlieren.
Im November 2016 fällt Franz Berger zwei Monate vor seinem Pensionsantritt mit 65 Jahren vom Dach und wird lebensgefährlich verletzt. Ein monatelanges Koma, gefolgt von einem Wachkoma, macht die Pflege in einem Hospiz notwendig. Mittlerweile kann Herr Berger sogar mit Hilfe essen und trinken. Die Betreuung im Hospiz kostet 8200 Euro pro Monat. Nach Abzug von 80 Prozent der Unfallrente und des Pflegegeldes bleiben 4000 Euro, die Herr Berger monatlich zu zahlen hätte. Das Land Niederösterreich streckt die Ausgaben für die Pflege für drei Jahre vor, dann wird ein Regress fällig. Ein Eigenregress wohlgemerkt, denn der Regress für Ehepartner und Kinder wurde bereits abgeschafft. Frau Berger (67), die für die Behörde im Haus ihres Mannes lebt, weil sie selbst nicht im Grundbuch steht, kann diesen Betrag nicht aufbringen. Damit droht die Versteigerung - ob sie dann weiterhin darin leben darf, weiß sie nicht. "Hoffen wir das Beste. Vielleicht gibt es ja bis dahin eine gesetzliche Regelung", sagt sie.
Alle für das Ende des Pflegeregresses
Tatsächlich scheint nun Bewegung in die Pflegeregress-Debatte zu kommen. Denn der designierte ÖVP-Obmann Sebastian Kurz präsentierte am Dienstag bei einem Österreich-Gespräch ein 10-Punkte-Programm für das Gesundheits- und Pflegesystem. Der Außenminister schlägt darin unter anderem die Abschaffung des Pflegeregresses vor. "Jemand, der ein Pflegefall wird, soll nicht anders behandelt werden als jemand, der an Krebs erkrankt", so Kurz bei der Präsentation im Franziskus-Spital in Wien Landstraße. Die Gesellschaft müsse solidarisch unterstützen. Das bedeute das Aus für den Pflegeregress.
Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Christian Kern hat das bereits in seinem Plan A gefordert, und die SPÖ hat die Pflegeregress-Abschaffung als Koalitionsbedingung formuliert. Daher griff er den Vorschlag von Kurz auch gleich auf: "Erledigen wir’s gleich", sagte Kern bei einem Besuch in einem Pflegeheim in Wien Döbling. Die SPÖ reagierte sofort und will einen dementsprechenden Antrag bereits am Donnerstag im Nationalrat einbringen. Auch die Oppositionsparteien FPÖ, Grüne, Neos und Team Stronach sind für die Abschaffung. Allerdings hakt es an einer Frage: der Finanzierung.
Die Finanzierung ist völlig ungeklärt
Die SPÖ geht von Kosten um die 200 Millionen Euro aus, Kurz hat von Kosten zwischen 150 und 200 Millionen Euro gesprochen.
Der Antrag der SPÖ sieht vor, dass der Bund den Ländern von 2018 bis 2021 jährlich 100 Millionen zweckgebunden zur Verfügung stellt, wenn sie in ihren Landesgesetzen den Zugriff auf das Vermögen von in Pflegeheimen Untergebrachten außer Kraft setzen. Die SPÖ kommt dabei der Volkspartei insofern entgegen, als die von ihr gewünschte Finanzierung über eine Erbschaftssteuer darin nicht enthalten ist.
Ursprünglich hatte die SPÖ zur Gegenfinanzierung eine Steuer auf Erbschaften und Schenkungen ab einer Million Euro pro Erbe (dies soll 500 Millionen Euro jährlich bringen) angepeilt.
"Die Finanzierungsfrage haben wir sauber zu lösen", meinte Kern dennoch. Als Zweites wolle man dann auch die Erbschaftssteuer diskutieren. Derzeit sei es schwierig, eine politische Mehrheit zu finden. Gefragt, ob er die Erbschaftssteuer also erst in der nächsten Legislaturperiode verhandeln wolle, räumte der Kanzler ein, "realistisch betrachtet" gebe es derzeit großen Widerstand von ÖVP und FPÖ. Wenn es kurzfristig möglich wäre, wäre das "großartig", aber man stelle sich jedenfalls mit diesem Konzept am 15. Oktober zur Wahl.
ÖVP bremst Erwartungen ein
Damit wird das Thema wohl in den Wahlkampf für die Nationalratswahl gezogen werden. Denn Kurz betonte, dass die ÖVP ohne Klärung des Finanzierungsmodells einer Abschaffung des Pflegeregresses vorerst nicht zustimmen werde. Wiewohl Kurz eine Finanzierung aus dem Budget vorschlägt, das wiederum durch Bekämpfung von Missbrauch und Abschaffung von Bürokratie entlastet werden soll. Eine Finanzierung über eine Erbschaftssteuer hält Kurz für "nicht sinnvoll". Neue Steuern seien nicht der Ansatz der ÖVP.
Die Bundesländer, die für die Pflege-Finanzierung zuständig sind, sind grundsätzlich zu einer Abschaffung des Regresses bereit. Allerdings pochen vor allem die ÖVP-geführten Länder auf eine Berücksichtigung des Einnahmenentfalls und eine Klärung der Finanzierung.
Zur Finanzierung der Pflegeplätze behalten die Länder die Pension und das Pflegegeld der Betroffenen ein - behalten dürfen die Pflegebedürftigen 20 Prozent der Pension sowie einen Teil des Pflegegeldes. Reichen Pension und Pflegegeld nicht aus, dann wird auch das Vermögen herangezogen. So kann also zum Beispiel eine Eigentumswohnung entsprechend belastet werden. Lediglich ein "Freibetrag" bleibt unangetastet. In mehreren Ländern können auch Ehegatten und Lebenspartner zur Kostenbeteiligung gezwungen werden, Kinder jedoch nicht mehr. In Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten wird auch nicht auf den Ehepartner zurückgegriffen.
Kinder sind seit 2014 vom Regress ausgenommen
Kinder sind seit Mitte Juli 2014 von Regressforderungen der Länder ausgenommen. Es gibt aber eine Ausnahme: Hat man sich vertraglich verpflichtet, für die Pflege der Eltern aufzukommen, kann man trotzdem regresspflichtig werden. Das ist häufig dann der Fall, wenn im Zuge eines Übergabevertrags, bei dem zum Beispiel das Elternhaus schon zu Lebzeiten an die Erben übergeben wird, eine Verpflichtung zur Pflege der Eltern vereinbart wird.
Allerdings gehen Forderungen des Landes nach dem Tod des Pflegeempfängers auf dessen Nachlass über, wenn sein eigenes Einkommen und Vermögen zu Lebzeiten nicht reichte, um die Kosten zu decken. Die Erben haften aber nur bis zur Höhe des Wertes des Nachlasses.
Niederösterreich erhält jährlich 22 Millionen Euro aus Regressforderungen. Das wären etwa 20 Prozent der von der SPÖ im Antrag versprochenen 100 Millionen Euro für die Länder. Allerdings sei das nicht alles, erklärte Soziallandesrätin Barbara Schwarz (ÖVP). Denn schon beim Regressentfall der Kinder sei der Zustrom zu den Pflegeheimen angestiegen - was etwa 10 bis 15 Millionen Euro pro Jahr an Mehrkosten verursache. Auch der Entfall des Eigenregresses werde wieder mehr Pflegeheimplätze erfordern. Das stelle die Bedarfsplanung für die nächsten Jahre auf den Kopf und werde zusätzlich Kosten verursachen. In der Steiermark machen die Einnahmen aus den Regressforderungen etwa 20 Millionen Euro aus, in Wien sind es 35 Millionen. "Alle sollen in Würde altern können, ohne dass das Ergebnis des eigenen Erfolgs verloren geht", befand Wiens Soziallandesrätin Sandra Frauenberger (SPÖ). Aber auch sie will die Finanzierung durch den Bund gesichert wissen.
Teilweise Entwarnung kommt für M. Berger aus dem Büro von Niederösterreichs Soziallandesrätin: "Wir gehen zwar ins Grundbuch, aber Delogierungen vermeiden wir."