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In Würde leben bis zum Schluss

Von Brigitte Pechar

Wissen

"Ars moriendi", die Kunst des Sterbens. Unter diesen Begriff fällt vieles. Einerseits das Loslassenkönnen des Sterbenden, seine Vorbereitung auf das Ende, die Sterbebegleitung im Sinne einer liebevollen und medizinischen Betreuung bis zum Schluss und die - nun durch das in den Niederlanden beschlossene Gesetz legitimierte - Euthanasie. In Österreich scheinen alle vier Parteien einen Konsens darüber gefunden zu haben, dass der Weg zu aktiver Sterbehilfe hierzulande nicht beschritten werden soll. Gleichwohl steckt die Palliativmedizin in den Kinderschuhen, es gibt noch nicht einmal einen Lehrstuhl dafür. Die ÖVP will nun eine Karenzierung für Angehörige, die todkranke Menschen pflegen, diskutieren.


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"Die großen Erfolge in allen Bereichen der modernen Medizin haben - neben dem Vertrauen der Bevölkerung in diese Medizin - auch Ängste vor einer menschenunwürdigen Praxis der gewaltsamen Lebensverlängerung hervorgerufen. Hinzu kommt die durch die gesellschaftliche Entwicklung gestiegene Autonomie des Patienten", umschreibt der Bonner Palliativmediziner Univ.-Prof. Eberhard Klaschik die Ursachen der Euthanasie-Diskussion. In Österreich scheint es einen gesellschaftlichen Kompromiss darüber zu geben, dass die "aktive Sterbehilfe" nicht legitimiert wird.

In den Niederlanden dagegen wurde vor kurzem ein Gesetz beschlossen, das "absichtlich lebensbeendendes Handeln durch eine andere als die betreffende Person auf dessen ausdrückliche Bitte" (niederländische Definition der Euthanasie) zwar nicht straffrei stellt, aber von der Strafverfolgung des Arztes absieht, wenn dieser sogenannte "Sorgfaltskriterien" berücksichtigt hat. Generell ist also in den Niederlanden Euthanasie und Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt - mit Ausnahme der Ärzte, wie Univ.-Prof. Ulrich Körtner vom Institut für Systematische Theologie an der Uni Wien erklärte. Dadurch würden sozialethische Fragen zum Berufsbild der Ärzte aufgeworfen.

Jährlich 1.000 Fälle von nicht freiwilliger Euthanasie

Die Entwicklungen in den Niederlanden, sollten allerdings Anlass sein, darüber nachzudenken, inwiefern die Straffreiheit einen "Dammbruch" zur Folge habe, meint Klaschik. Jährlich gebe es etwa 1.000 Fälle von Euthanasie ohne ausdrückliche Bitte des Patienten. Die Häufigkeit und Akzeptanz von nicht freiwilliger Euthanasie führt Klaschik darauf zurück, dass palliativmedizinische Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft werden.

In Deutschland besteht Straffreiheit für Hilfeleistung zum Suizid. Ärzten ist das aber durch den Standeskodex verboten. Die Schweiz, so Körtner, versuche einen "Mittelweg zwischen dem niederländischen und dem deutschen Modell". Dort hatte eine Organisation namens "Exit" durchgesetzt, dass Ärzte Beihilfe zum Suizid leisten dürfen.

Ein ähnliches Modell, wie jenes der Niederlande gibt es weltweit nicht. Zwar hat der australische Bundesstaat Northern Territory 1995 beschlossen, Ärzten in bestimmten Fällen "Tötung auf Verlangen" zu erlauben. Dieses Gesetz wurde aber wieder aufgehoben.

In Österreich steht Beihilfe zum Suizid unter Strafe. Änderungen sind nicht geplant. Eine Umfrage, wonach 50 Prozent der Bevölkerung eine Regelung ähnlich der der Niederlande wünschen, wird unter Experten bezweifelt. Palliativmediziner nehmen der Diskussion zusätzlich Wind aus den Segeln. Sie verweisen darauf, dass dort, wo die Palliativmedizin ausgeprägt ist, das Thema Euthanasie gar nicht aufkommt. Johann Baumgartner, von der Palliativbetreuung am Landeskrankenhaus Graz, bestätigte das anhand eines Beispieles aus den Niederlanden: In Roermond sei an eine große Pflegeeinrichtung ein stationäres Hospiz angegliedert. Dort habe noch kein einziger Patient nach Euthanasie verlangt.

Graz: Lehrstuhl für Palliativmedizin in Planung

In Österreich steckt die Palliativmedizin noch in den Kinderschuhen. Die Euthanasiediskussion habe aber geholfen, ein Umdenken zu bewirken, stellte Franz Zdrahal, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Palliativmedizin, fest. Knackpunkt sei nach wie vor die Finanzierung. Denn die Einrichtung von Palliativbetten oder stationären Hospizen sei Sache der Länder. Wobei ein stationärer Hospizplatz pro Tag etwa 80.000 Schilling kostet.

Zdrahal ist derzeit in Gesprächen mit der Ärztekammer, um ein Diplom für Palliativmedizin zu schaffen. Was schon ein Fortschritt wäre. Denn die Erfahrung zeigt, dass vor allem die Hausärzte, die das Sterben daheim erleichtern sollten, auf dem Gebiet der Schmerztherapie zu wenig Erfahrung haben. "Vor zehn Jahren waren wir ein Entwicklungsland in der Schmerztherapie, das ist besser geworden", sagt Zdrahal.

In Graz wurden vergangenen Freitag vier Palliativbetten erstmals an einer Uniklinik eingerichtet. Baumgartner sieht darin einen ersten Schritt zur Errichtung eines Lehrstuhls. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer unterstützt dieses Vorhaben. Die Entscheidung muss aber an der Medizinischen Fakultät durch Umschichtung getroffen werden. Dass das eine langwierige Angelegenheit sein kann, liegt auf der Hand. In Graz versucht man daher nun, Drittmittel zur Finanzierung dieses Lehrstuhls zu akquirieren.

Unterdessen ist auch die Politik tätig geworden. Die ÖVP will noch im Juli einen Entschließungsantrag zur Karenzierung von pflegenden Angehörigen für todkranke Patienten einbringen, wie Abg. Edeltraud Gatterer gegenüber der "Wiener Zeitung" bestätigte.