Zum Hauptinhalt springen

Indien und Pakistan suchen Lösung für Kaschmir

Von Jürgen Hein

Politik

Neu-Delhi - Ausgerechnet den Tadsch Mahal, das Denkmal der Liebe, haben sich die Regierungschefs von Indien und Pakistan als Kulisse für ihr Gipfeltreffen zum Kaschmir-Konflikt ausgesucht. Am Sonntag und Montag wollen sich der pakistanische Militärmachthaber Pervez Musharraf und der indische Regierungschef Atal Behari Vajpayee in Agra, wo das weiße Marmormausoleum steht, zu Gesprächen zurückziehen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ein Ende der Gewalt in Kaschmir erwartet aber niemand. "Wenn sie die Reisemöglichkeiten erleichtern, tun sie uns schon einen großen Gefallen", sagt Zameer Abbas aus Dehra Dun in Indien. "Niemand fragt uns, was wir wirklich wollen", meint Aftab Faisal im pakistanischen Teil Kaschmirs. "Indien und Pakistan sollten den Konflikt ein für alle Mal begraben, wir wollen nur in Frieden leben", sagt Said Shabeena, der auf der indischen Seite der Grenze in Kaschmir lebt.

Dass Vajpayee und Musharraf sich überhaupt treffen, werten viele als den eigentlichen Erfolg. Denn vor zwei Jahren standen sie sich fast noch als Kriegsgegner gegenüber. Vajpayee hatte gerade seinen ersten Anlauf in Richtung Aussöhnung genommen, da fielen pakistanische Freischärler in den indischen Teil Kaschmirs ein. Indien ist sicher, dass Armeechef Musharraf zu den Drahtziehern gehörte.

Seit den Atomtests von 1998 ist Südasien ein nukleares Pulverfass, und als Pakistan während der Kämpfe in Kaschmir einen indischen Jet abschoss, hielt die ganze Region den Atem an: Das hätte der Funke sein können, um den vierten Krieg zwischen beiden Ländern auszulösen.

Aber Indien hielt sich zurück, Pakistan zog auf Druck der USA die Freischärler ab. Dem Aufatmen folgte neue Sorge, als Musharraf sich im Oktober 1999 an die Macht putschte. Seitdem herrschte eisiges Schweigen - bis Vajpayee Musharraf einlud. Nun werden sie einander die Hand schütteln und zumindest einige vertrauensbildende Maßnahmen vereinbaren. Die Kriegsgefahr nimmt endlich ab, hoffen viele.

Sogar von einem Anti-Kriegs-Pakt ist die Rede. Musharraf stellte aber klar: "Der Pakt würde zwischen Indien und Pakistan gelten, er betrifft nicht den Freiheitskampf in Kaschmir." Seit 1989 kämpfen Separatisten im indischen Teil Kaschmirs für die Unabhängigkeit oder für den Anschluss an Pakistan. Obwohl in Kaschmir überwiegend Moslems leben, war die Region 1947 nicht zu Pakistan geschlagen worden.

Pakistan bezeichnet die Moslemmilizen als Freiheitskämpfer, Indien nennt sie Terroristen, die von Pakistan in einen Stellvertreterkrieg geschickt würden. An der Teilungslinie, wo sich bisher indische und pakistanische Grenztruppen regelmäßig Gefechte lieferten, ist es ruhig geworden, und diese Waffenruhe könnten Vajpayee und Musharraf festschreiben. Die Gewalt im indischen Teil Kaschmirs, der bisher bis zu 70.000 Menschen zum Opfer fielen, geht aber weiter.

In beiden Ländern ist klar, wie eine Lösung aussehen könnte: Kaschmir würde endgültig geteilt, die Teilungslinie wäre die Grenze, und die könnte geöffnet werden. Niemand erwartet aber, dass Musharraf und Vajpayee den Kaschmir-Knoten auf diese Weise durchschlagen.

Trotz seiner Gespräche mit der Opposition müsste Vajpayee mit herber Kritik rechnen, wenn er den indischen Anspruch auf ganz Kaschmir aufgäbe. Und Musharraf hätte die radikalen Moslemgruppen im eigenen Land gegen sich, die den Kaschmirkonflikt anheizen. Aber dass es höchste Zeit ist für Entspannung, darüber sind sich alle einig. "Indien und Pakistan haben einen gemeinsamen Feind, und das ist die Armut", sagt der indische Außenminister Jaswant Singh.