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Indien und sein Hunger nach Stahl

Von Matthias Nagl aus Indien

Wirtschaft
Der Anlagenbauer Siemens VAI beliefert das Jindal-Werk in Toranagallu. Foto: Nagl

Siemens VAI beschäftigt 800 Mitarbeiter in Indien. | "Das Stahlland schlechthin." | Kalkutta. "Willkommen im Land des Eisenerzes!" So begrüßt der Bezirk Bellary im südindischen Bundesstaat Karnataka die Besucher jenes Landstrichs, der Bellary nachhaltig verändert hat. Das Gebiet, etwas kleiner als Kärnten, soll dazu beitragen, den Rohstoffhunger Indiens zu stillen.


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Der Abschnitt, den die Verwaltung zum Land des Eisenerzes auserkoren hat, ist geprägt von der Stahlindustrie. Miene reiht sich an Miene, zahlreiche Stahlwerke stehen in der Landschaft. Auch ein neues Kohlekraftwerk, keine fünf Jahre alt, steht hier, die Stahlproduktion ist schließlich energieintensiv.

Aktuell produziert die indische Stahlindustrie 66,8 Millionen Tonnen jährlich, damit ist Indien der fünftgrößte Stahlproduzent weltweit. Zwei Drittel davon produzieren private Unternehmen, der Rest der Produktion ist in staatlicher Hand. Die Gesamtmenge soll sich in den kommenden fünf Jahren nahezu verdoppeln. Das Bild von Indiens Metropolen erklärt dieses Wachstum, die Städte gleichen gigantischen Großbaustellen. Viele Stadtautobahnen werden zweistöckig ausgebaut, um das wachsende Verkehrsaufkommen unter Kontrolle zu bekommen, wird auch in den öffentlichen Verkehr investiert. Die Autoverkäufe wachsen jährlich um rund 20 Prozent, schon 2012 sollen mehr als drei Millionen Autos verkauft werden.

An diesem schnell wachsenden Markt wollen auch europäische Konzerne mitschneiden. Vor 16 Jahren hat die damalige VATech schon das erste Büro in Indien eröffnet. Mittlerweile ist die VATech durch Übernahme zu Siemens VAI geworden. Der Anlagenbauer beschäftigt mittlerweile 800 Mitarbeiter in Indien. "Für die nächsten Jahre ist Indien das Stahlland schlechthin", sagte Werner Auer, Vorstand von Siemens VAI, bei einer Konferenz in Kalkutta.

Konkurrenzfähig imBilliglohn-Land

Der Konzern will dabei mit reduzierten Varianten seiner Produkte auch gegen preisgünstigere lokale Unternehmen konkurrenzfähig sein. "Wir müssen uns an die lokalen Bedürfnisse anpassen", sagt Tim Dawidowsky, bei Siemens VAI für den Bereich Casting & Rolling zuständig. Deshalb sei auch die Präsenz in diesen Ländern so wichtig. ",Hinfahren, Geschäfte machen und wieder heimfahren funktioniert heute nicht mehr", erklärt Dawidowsky. Durch weniger ausgereizte Produkte für diese Märkte seien signifikant niedrigere Preise möglich. Siemens VAI kann seine modifizierten Anlagen so zum Teil um weniger als die Hälfte des ursprünglichen Preises anbieten.

Einer der wichtigsten Kunden des Unternehmens ist Jindal Steel, der drittgrößte Stahlproduzent Indiens. Jindals Werk in Toranagallu im Bezirk Bellary ist das größte in seiner Umgebung und beherbergt inzwischen den größten Hochofen Indiens.

Knapp 6000 Mitarbeiter sind hier in der Stahlproduktion tätig, Manu und Rahul sind zwei davon. Wie der Großteil der Belegschaft sind sie jung, Manu ist 26 Jahre alt, Rahul 23. Trotz ihres jungen Alters sind sie schon in leitender Position tätig, beide sind technische Assistenten der Werksleitung. Dabei sind sie für die Überwachung des korrekten Produktionsablaufs zuständig.

Sie kommen beide aus dem Bundesstaat Punjab im Norden Indiens, rund 2000 Kilometer vom Werk entfernt und haben dort ihren Bachelor als Metall-Ingenieure gemacht. Für Manu Raj Dadwal steht im Juni wieder einer von zwei Heimaturlauben im Jahr an. Für zwei, drei Wochen will er bleiben, um Verwandte zu besuchen. "Sonst gibt es dort nicht viel zu tun, das ist das Problem für mich, dort gibt es keine Stahlindustrie", erzählt er. Seit fünf Jahren arbeitet er für Jindal, wie Rahul Sharma bekam er den Job über jene Hochschule, die beide besuchten. Rahul hat erst vor einem Jahr zu arbeiten begonnen, er verdient 35.000 Rupie, umgerechnet knapp 550 Euro. Für indische Verhältnisse ist das kein schlechtes Einstiegsgehalt. Der rasche Aufschwung ist durch das riesige Reservoir an Arbeitskräften möglich. Daran wird sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern. Fast jeder dritte Inder ist jünger als 15 Jahre.

Dabei ist der Konzern peinlich genau um sein Image bemüht. Überall im Werk sind Hinweise für die Sicherheit der Arbeiter angebracht, in den Hallen gibt es Mülltrennung, in Indien eine Seltenheit. Dazu ist das Werk der bewaldetste Fleck weit und breit. Wo keine Maschinen oder Werkshallen stehen, stehen Bäume. Die soziale Verantwortung von Unternehmen ist in Indien ein großes Thema, Jindal Steel legt großen Wert auf die Außendarstellung, zumal die Eisen- und Stahlindustrie nicht den besten Ruf hat. Regelmäßig stehen Berichte über Korruption oder illegale Mienen in den Zeitungen. Den rasenden Anstieg der Stahlproduktion scheint das aber nicht aufhalten.