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Indiens Bande zu Russland

Von Ullekh N.P.

Gastkommentare

Der Ukraine-Krieg aus der Perspektive der größten Demokratie der Welt.


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Wenn indische Social-Media-Diskussionen ein Hinweis darauf sind, was die Menschen im Land mit der zweitgrößten Bevölkerung (nach China) über den Ukraine-Krieg denken, dann ist der osteuropäische Staat selbst schuld. Natürlich gibt es jene, die dem widersprechen und dem Tenor in westlichen Medien zustimmen, aber im Großen und Ganzen ist das eine Minderheit, selbst unter den Intellektuellen. Die Mehrheit spricht von einem Bruderkrieg in der Ukraine und scheint sich darüber nicht mehr Sorgen zu machen als über den Krieg im Jemen. Sie ist mehr mit der Haltung Chinas zu diesem Krieg beschäftigt als mit dem Krieg selbst.

Das wirft die Frage auf: Wie kann Indien, die größte Demokratie der Welt und das Land des Mahatma, in einem Krieg auf der "falschen" Seite, nämlich jener des Aggressors, stehen? Die Antwort darauf ist einfach: Die Inder sind sich bewusst, dass moderne Kriege nicht von Russland erfunden wurden. Die Welt ist voller Kriege und Bürgerkriege. Als sich die USA voriges Jahr aus Afghanistan, in Indiens Nachbarschaft, zurückzogen, gab es eine neue humanitäre und politische Krise, Chaos und Blutvergießen. Indien spürte die Erschütterungen durch eine Flüchtlingswelle. Worum ging es in diesem Krieg? Was hatten die US-geführten Nato-Truppen nach 20 Jahren Besatzung erreicht? Und hatten die Nato-Truppen im Irak nach dem Einmarsch unter Berufung auf Massenvernichtungswaffen, die es nicht gab, eine Demokratie aufgebaut? Solche Fragen bewegten die Menschen in Indien.

Der Krieg um Öl hat den Nahen Osten zu einem Pulverfass gemacht. Lange vor Russlands Angriff auf die Ukraine begann 2014 im Jemen ein vielschichtiger Krieg, an dem verschiedene Interessen beteiligt sind. Auch die USA sind dort kein ganz unschuldiger Zuschauer, schließlich setzen die Saudis dort auf Waffen aus den USA. Wenn Kriege schlecht sind, dann sind Kriege, die unter dem falschen Vorwand der Errichtung einer Demokratie geführt werden, noch schlimmer und teuflisch.

Was die Inder bewegt

Die indische Öffentlichkeit hört auf Leute wie den 2020 verstorbenen Russland-Experten Stephen Cohen, einen großen Freund unserer Nation, oder John Joseph Mearsheimer. Und sogar die Stimme Henry Kissingers, der keineswegs Indiens Freund ist nach dem, was er uns 1971 im Krieg mit Pakistan antun wollte, wird wegen ihrer Nüchternheit gehört. Vermutlich waren auch viele Inder unter den 27 Millionen Zuhörern von Mearsheimers YouTube-Vortrag "Why is Ukraine the West’s Fault?" im Jahr 2015, in dem er – ebenso wie Cohen – vor einem Krieg in der Ukraine als Ergebnis des Versuchs der Nato, Russland einzukreisen, warnte.

Der durchschnittliche Inder stellt die gleichen Fragen wie die Experten: Würden die USA einen chinesischen Luftwaffenstützpunkt in Mexiko tolerieren? Wenn sie die Ukraine in der Nato haben wollten, warum diese lange Verzögerung? Benutzen Sie die Ukraine womöglich als Schachfigur, um Russland auszubluten? Warum folgen die Länder in Europa den USA so widerspruchslos? Das sind die typischen Fragen, die in Indien in Seminarräumen und in Sozialen Medien gestellt werden.

Keine moralische Bewertung

Wir können zwar alle Debatten auf eine Frage der Moral reduzieren. Wie kann man vor den Werten von Gandhi, dem Apostel der Gewaltlosigkeit, kapitulieren? Gandhi glaubte, dass wir mit Krieg keinen Frieden schließen können. Aber er starb für die Sünden seines Volkes, als sie wie Ungeheuer um die Religion kämpften. Sein Tod brachte Frieden in ein Indien, das 1947 von den abziehenden britischen Kolonialisten geteilt wurde. Unsere Position ist daher eindeutig: So wie der Westen nicht die Moral seines diplomatischen Verbündeten misst, so tut es auch Indien nicht.

Außerdem, wenn die USA jemals dachten, sie könnten Indien Bedingungen diktieren oder es davon abbringen, seine Beziehungen zu Russland fortzusetzen, lautet unsere Antwort, dass wir kein Vasallenstaat sind. Die USA können nicht erwarten, dass Indien ihre Feinde als seine Feinde betrachtet. Wir haben unsere eigenen strategischen Interessen genauso wie sie ihre. Für Indien sind die militärischen Beziehungen zu Russland von entscheidender Bedeutung, da die Beziehung viele Jahrzehnte alt ist. Wenn Länder in Europa russisches Gas kaufen können, werden wir diese Gelegenheit auch nutzen, um Öl aus Russland zu günstigeren Preisen zu kaufen.

Die Bevölkerung dürfte hier mehrheitlich hinter der Regierung stehen. Russland hat Indien in der Vergangenheit angesichts harter Maßnahmen des Westens bei einer Reihe heikler unterstützt, sei es im Kaschmir-Konflikt seit 1947, bei Goa im Jahr 1961 oder Bangladesch im Jahr 1971. Indien unterhält robuste militärische und diplomatische Beziehungen zum Kreml. Führende Köpfe, insbesondere pensionierte Streitkräfte, die sich der Unterstützung der früheren Sowjetunion erinnern, haben auch öffentlich erklärt, Indien dürfe einen Freund und Mentor in einer Krise nicht im Stich lassen.

Kein Wunder, dass ein "Al Jazeera"-Artikel von Somdeep Sen, außerordentlicher Professor für internationale Entwicklungsstudien an der Universität Roskilde, der die tiefen Beziehungen zwischen den beiden Ländern erklärte, in Indien große Resonanz fand. Ebenso die Bemerkung von Papst Franziskus in einem Interview mit dem italienischen "Corriere della Sera", dass die Nato Wladimir Putins Krieg in der Ukraine durch ihr "Bellen an Russlands Tür" provoziert haben könnte.

In Indien versteht man nicht, warum die USA nicht genug tun, um den Ukraine-Krieg zu stoppen, der doch nicht in ihrem Interesse sein kann, weil er ihre Aufmerksamkeit von ihrem größten Feind China ablenkt, einem Gegner, den die USA und Indien gemeinsam haben. Stattdessen liefert die Regierung in Washington weiterhin Waffen an die ukrainische Armee, ungeachtet ziviler Opfer. Der Krieg in der Ukraine hat sich für Russland von einem erwarteten Sprint zu einem Ultramarathon entwickelt. Indien ist gegen den Krieg. Und Indien ist auch gegen doppelzüngige Diplomatie.