Die gewaltsamen Proteste gegen die Staatsbürgerschaftsreform reißen nicht ab. Aus Sicht von Kritikern ist das neue Gesetz ein weiterer Versuch, aus Indien einen reinen Hindu-Staat zu machen.
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Nach der massiven Kritik am Polizeieinsatz in der Jamia-Millia-Islamia-Universität, bei dem die Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken und Tränengas gegen hunderte protestierende Studenten vorgegangen waren, zeigt sich Alok Kumar mittlerweile betont defensiv. "Es sind keine Schüsse gefallen", versicherte der Polizeichef der indischen Hauptstadt Neu-Delhi, nachdem am Dienstag im Osten der 15-Millionen-Metropole der Zorn gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts erneut aufgeflammt waren. Vor allem im NewSeelampur-Viertel sind die Proteste allerdings dennoch massiv von Gewalt geprägt gewesen. Tausende Demonstranten lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, die ihrerseits erneut Schlagstöcke und Tränengas einsetzte. Märkte wurden geschlossen und der U-Bahnverkehr stellenweise unterbrochen. Premierminister Narendra Modi beschuldigte zudem die Opposition, die mittlerweile auf zahlreiche indische Regionen übergreifenden Proteste anzufeuern, und verglich die Demonstranten mit Terroristen.
Am vergangenen Mittwoch hatte das Parlament in Neu-Delhi das umstrittene neue Gesetz beschlossen, demzufolge Einwanderer aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch künftig die indische Staatsbürgerschaft erwerben können, sofern sie keine Muslime sind. Indiens Nachbarländer Pakistan und Bangladesch sowie Afghanistan sind zwar mehrheitlich muslimisch, doch es gibt auch kleine, religiöse Minderheiten von Hindus, Jains, Christen, Sikhs, Buddhisten und Parsen. Das Gesetz sieht vor, dass diese Gruppen die indische Staatsbürgerschaft erhalten können, wenn sie sechs Jahre lang in Indien gearbeitet haben - selbst dann, wenn sie nicht auf legalem Wege ins Land eingereist sind. Es reformiert das 64 Jahre alte Staatsbürgerschaftsgesetz, dass alle illegale Migranten davon ausschloss, Bürger Indiens zu werden.
"Deckmantel der Großzügigkeit"
Indiens hindunationalistische Regierung begründete die Reform damit, dass so Menschen vor religiöser Verfolgung geschützt würden. Das Gesetz ist jedoch in Indien und im Ausland auf heftige Kritik gestoßen. Die indische Journalistin Barka Dutt merkte in der Zeitung "Hindustan Times" trocken an, dass "wir nun alle unsere indische Herkunft beweisen müssen". Die Reform nutze den Deckmantel scheinbarer Großzügigkeit, um Indien von einem säkularen Staat in eine Nation zu verwandeln, in der es eine Hierarchie von Religionen gebe.
"Indiens Seele ist verwundet", schrieb der Parlamentarier und frühere Finanzminister Palaniappan Chidambaram in der Zeitung "Indian Express". Die Reform sende eine klare Botschaft aus, wonach indische Muslime keine gleichwertigen Bürger Indiens seien. Und in einem offenen Brief verurteilten mehr als 700 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter Anwälte, Professoren und Schauspieler, das Gesetz: "Es ist das erste Mal, dass es einen gesetzlichen Versuch gibt, nicht nur Menschen bestimmter Glaubensrichtungen zu privilegieren, sondern gleichzeitig auch eine andere, muslimische Religion, mit einem zweitklassigen Status abzuwerten."
Bewohner der Bundesstaaten Assam, Tripura und West-Bengalen, die an Bangladesch angrenzen, fürchten nun eine massive Einwanderungswelle von Nicht-Muslimen aus Bangladesch. In Assam gibt es seit Jahrzehnten eine Protestbewegung gegen Migranten aus Bangladesch, die auf der Suche nach Arbeit illegal über die Grenze kommen.
Das Ende der Toleranz
Dabei geht es nicht allein um Religion oder Arbeitsplätze. Die Unruhen im Nordosten sind auch ein Zeichen dafür, wie komplex Indien als Nation ist. In Assam - mit mehr als 200 indigenen Gruppen - sind ethnische Zugehörigkeit, Sprache und Kultur ein ebenso emotionales Thema wie Religion. Und Außenseiter sind hier nicht allein durch die jeweilige Glaubensrichtung definiert.
Die Mehrheit der Inder sind Hindus, die etwa 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die zweitgrößte Religionsgruppe sind die Muslime mit etwa 200 Millionen. Sie stellen rund 14 Prozent der Bevölkerung. Unter der hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei, die Indien seit 2014 regiert, hat sich das einst religiös tolerante Land allerdings gewandelt. Im August hatte die Regierung unter Premierminister Modi die vollständige Integration des mehrheitlich muslimischen Kaschmirs in den indischen Staat beschlossen und den Sonderstatus der Himalaya-Region abgeschafft. Im Oktober veröffentlichte die Regierung ein neues Staatsbürgerregister für Assam und erklärte fast zwei Millionen Einwohner, die Mehrheit von ihnen Muslime, faktisch für staatenlos. Assam teilt mit Bangladesch eine rund 260 Kilometer lange Grenze, die an vielen Stellen unbewacht ist.